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John Grisham

John Grisham

Titel: John Grisham Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Gesettz
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Zeugenraum geführt. Beim Eintreten sahen sie all die Gesichter, die sie erwartet hatten, aber sie interessierten sie nicht. Sheriff Walls war da, weil das Gesetz es so vorschrieb. Der Staatsanwalt war aus freien Stücken da. Charlene, Childers' Witwe mit der langen Leidensgeschichte, saß neben dem Sheriff. Sie war in Begleitung zweier kräftiger junger Mädchen, die offensichtl ich ihre Töchter waren. Die Opferseite des Zeugenraumes war durch eine Plexiglasscheibe abgetrennt, so dass man die Familie des Verurteilten anstarren, aber nicht anschreien und beleidigen konnte. Butch und Leon saßen auf Plastikstühlen. Fremde schlurften hinter ihnen herein, und als alle saßen, wurde die Tür geschlossen. Es war heiß und voll im Zeugenraum.
    Sie starrten ins Leere. An den Fenstern vor ihnen waren schwarze Vorhänge zugezogen, so dass sie die grausigen Vorbereitungen auf der anderen Seite nicht verfolgen konnten. Es gab Geräusche, kaum wahrnehmbare Bewegungen. Plötzlich wurden die Vorhänge beiseitegerissen, und sie blickten in die Todeskammer, vier mal fünf Meter groß, mit frisch gestrichenem Betonboden. In der Mitte stand die Gaskammer, ein achteckiger silberfarbener Zylinder, der wiederum Fenster hatte, damit der Vorgang ordnungsgemäß bezeugt und anschließend der Tod festgestellt werden konnte.
    Und da war Raymond, auf einen Stuhl in der Gaskammer geschnallt, den Kopf mit schaurigen Riemen fixiert, so dass er nur geradeaus blicken und die Zeugen nicht anschauen konnte. Er schien nach oben zu sehen, während der Gefängnisleiter mit ihm sprach. Neben dem Direktor waren ein als offizieller Zeuge bestellter Beamter anwesend, ebenso einige Aufseher und natürlich der Scharfrichter und sein Assistent. Jeder von ihnen hatte eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, und alle zeigten grimmig-entschlossene Mienen, als wären sie persönlich von diesem Ritual betroffen. Sie alle waren Freiwillige, bis auf den Gefängnisleiter und den Beamten.
    Ein kleiner Lautsprecher, der im Zeugenraum an einem Nagel hing, übertrug die letzten Äußerungen und Geräusche.
    Der Beamte trat nahe an die Tür der Gaskammer heran und sagte: »Raymond Graney, ich bin gesetzlich verpflichtet, Ihnen Ihren Hinrichtungsbefehl zu verlesen.« Er hob ein Blatt Papier und fuhr fort: »Gemäß dem gegen Sie vom Berufungsgericht von Ford County verhängten Schuldspruch und Todesurteil wird hiermit angeordnet, dass die Exekution durch tödliches Gas in der Gaskammer der staat li chen Justizvollzugsanstalt des Bundesstaates Mississippi in Parchman an Ihnen vollstreckt wird. Möge Gott Ihrer Seele gnädig sein.« Dann trat er zur Seite und griff nach dem Hörer eines an der Wand befestigten Telefons. Er horchte und sagte: »Kein Aufschub.«
    Der Gefängnisleiter fragte: »Gibt es irgendwelche Gründe, warum diese Hinrichtung nicht fortgeführt werden sollte?«
    »Nein«, erwiderte der Beamte.
    »Ihre letzten Worte, Raymond?«
    Raymonds Stimme war kaum wahrnehmbar, aber in der absoluten Stille des Zeugenraumes wurde er gehört: »Es tut mir leid, was ich getan habe. Ich bitte die Familie von Coy Childers um Vergebung. Mein Gott hat mir vergeben. Bringen wir's hinter uns.«
    Die Aufseher verließen den Hinrichtungsraum, der Gefängnisleiter und der Beamte blieben zurück und entfernten sich so weit wie möglich von Raymond. Der Scharfrichter trat vor und schloss die schmale Tür der Gaskammer. Sein Assistent überprüfte die Dichtungen. Als die Kammer bereit war, sahen sich beide kurz prüfend im Raum um. Alles in Ordnung. Der Scharfrichter verschwand in einem kleinen Verschlag, dem Chemikalienraum, um die Gasventile zu bedienen.
    Lange Sekunden verstrichen. Die Zeugen gafften voll fasziniertem Abscheu und mit stockendem Atem. Auch Raymond hielt den Atem an.
    Der Scharfrichter steckte einen Behälter mit Schwefelsäure an einen Schlauch, der vom Chemikalienraum zu einer Mulde direkt unter Raymonds Stuhl in der Gaskammer führte. Er zog an einem Hebel, um den Behälter zu öffnen. Ein Klicken war zu hören, das die meisten Zuschauer zusammenfahren ließ. Auch Raymond fuhr zusammen. Seine Finger krallten sich um die Armlehnen des Stuhls. Sein Rückgrat versteifte sich. Ein paar Sekunden vergingen, dann reagierte die Schwefelsäure mit dem Zyanid, das sich bereits in der Mulde befand, und das tödliche Gas begann aufzusteigen. Als Raymond die Luft nicht mehr länger anhalten konnte, sog er so viel wie möglich von dem Gift ein, um den Prozess zu beschleunigen.

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