John Grisham
die Sanitärräume enthält. Als Vorführraum dient ein wackliger Anbau. Das Daisy Drive-In hat definitiv bessere Zeiten erlebt. Ich kaufe einen Eimer altbackenes Popcorn und lasse mir Zeit, bevor ich zum Cadillac zurückgehe. Unterwegs werfe ich nicht einen einzigen Blick auf die Leinwand.
Miss Ruby ist verschwunden! Sekundenbruchteile nachdem ich den leeren Beifahrersitz entdeckt habe, höre ich sie im Fond kichern. Natürlich funktioniert die Deckenleuchte nicht, wahrscheinlich schon seit zwanzig Jahren oder so nicht mehr. Hinten ist es dunkel, und ich drehe mich nicht um.
»Alles in Ordnung?«, frage ich wie ein Babysitter.
»Und ob«, erwidert Spurlock.
»Hinten ist mehr Platz«, ergänzt Miss Ruby. Nach zehn Minuten entschuldige ich mich erneut und gehe auf einen langen Spaziergang über den Parkplatz bis zur hintersten Reihe und durch einen alten Zaun zu einer Anhöhe am Fuß eines uralten Baumes, wo um einen kaputten Picknicktisch Bierdosen verstreut liegen, Hinterlassenschaften von Jugendlichen, die zu jung oder zu arm sind, um sich Kinokarten zu kaufen. Ich setze mich auf den wackligen Tisch und habe nun einen hervorragenden Blick auf die Leinwand in der Ferne. Ich zähle sieben Pkws und zwei Pick-ups als zahlende Kunden. Der Fahrer, der am nächsten an Miss Rubys Cadillac steht, hupt immer noch genau im richtigen Augenblick. Ihr Auto leuchtet im Licht, das von der Leinwand reflektiert wird. Soweit ich das beurteilen kann, steht es völlig ruhig da.
Meine Schicht beginnt um einundzwanzig Uhr, und ich bin immer pünktlich. Laut schriftlicher Anordnung von Königin Wilma Drell muss Mr. Spurlock bis spätestens einundzwanzig Uhr zurück sein. Eine halbe Stunde vorher schlendere ich zurück zum Auto, unterbreche, was auch immer auf dem Rücksitz vorgeht - sofern dort überhaupt etwas vorgeht -, und kündige unseren Aufbruch an.
»Ich bleibe hinten.« Miss Ruby kichert und spricht etwas undeutlich, was angesichts ihrer Immunität gegen Alkohol ungewöhnlich ist.
»Geht es Ihnen gut, Mr. Spurlock?«, frage ich, als ich den Motor anlasse.
»Und ob.«
»Wie hat den Herrschaften der Film gefallen?«
Beide brüllen vor Lachen, und mir wird klar, dass sie beschwipst sind. Sie kichern die ganze Fahrt zu Miss Rubys Haus, was sehr unterhaltsam ist. Dann verabschiedet sie sich, und wir steigen in meinen Käfer um.
»Haben Sie sich amüsiert?«, frage ich Mr. Spurlock auf dem Weg zu Quiet Haven.
»Bestens. Danke.« Er hält ein Schlitz in der Hand, meiner Zählung nach Nummer drei, und hat die Augen halb geschlossen.
»Was haben Sie eigentlich da auf dem Rücksitz getrieben?«
»Nicht viel.«
»Sie ist nett, finden Sie nicht?«
»Ja, aber sie stinkt. Dieses ganze Parfüm. Hätte nie gedacht, dass ich mal mit Ruby Clements auf dem Rücksitz landen würde.«
»Sie kennen sie?«
»Ich weiß, wer sie ist. Ich lebe schon lange hier, mein Junge, und an viel kann ich mich nicht erinnern. Aber irgendwann wusste praktisch jeder, wer sie ist. Einer ihrer Ehemänner ist ein Cousin von einer meiner Ehefrauen. Glaube ich zumindest. Ist schon lange her.« Ich liebe Kleinstädte.
Unser nächster Ausflug findet zwei Wochen später statt und geht zum etwa eine Stunde von Clanton entfernten Brice's Crossroads, einem Schlachtfeld des amerikanischen Bürgerkriegs. Wie die meisten alten Südstaader behauptet Mr. Spurlock, seine Vorfahren hätten tapfer für die Konföderation gekämpft. Er hat den Nordstaaten nicht verziehen und wird geradezu bitter, wenn es um den Wiederaufbau (»Welcher Wiederaufbau?«) und Yankee-Kriegsgewinnler (»Dreckige Diebe«) geht.
Ich hole ihn früh an einem Dienstag ab, und unter dem wachsamen und missbilligenden Blick von Königin Wilma Drell entfleuchen wir in meinem kleinen Käfer aus Quiet Haven. Ich halte an einem Lebensmittelgeschäft, kaufe zwei große Becher abgestandenen Kaffee, Sandwiches und Limonade. Dann sind wir bereit, den Krieg noch einmal zu erleben.
Der Bürgerkrieg ist mir völlig egal, und ich verstehe auch nicht, was die Leute daran so fasziniert. Wir, die Südstaaten, haben verloren, und zwar gründlich. Vergessen wir die Sache. Aber wenn Mr. Spurlock seine letzten Tage damit verbringen will, von der ruhmreichen Konföderation und dem, was hätte sein können, zu träumen, werde ich mein Bestes geben. Im vergangenen Monat habe ich ein Dutzend Bücher über den Bürgerkrieg gelesen, die ich mir aus der Clantoner Bücherei geholt habe, und drei weitere liegen noch in meinem
Weitere Kostenlose Bücher