John Grisham
Tupelo, zeige ihm die Farbfotos der nackten und blutenden alten Dame sowie die Kopien der Patientenakte vor und nach den Verschönerungsarbeiten, und wir schließen eine Vereinbarung. Dex gibt Vollgas, kontaktiert die Familie von Harriet Markle und lässt HVQH innerhalb einer Woche nach dem Vorfall wissen, dass die Firma ein echtes Problem hat. Mich, meine Fotos und die Unterlagen, die ich habe mitgehen lassen, wird er erst erwähnen, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt. Aufgrund dieser Insiderinformationen wird es vermutlich einen schnellen Vergleich geben, und ich werde wieder einmal arbeitslos sein.
Auf Anweisung der Zentrale wird Mrs. Wilma Drell plötzlich sehr nett. Sie ruft mich zu sich und teilt mir mit, dass ich aufgrund meiner enorm gesteigerten Leistung eine Gehaltserhöhung bekomme. Von sechs Dollar die Stunde auf sieben, und das darf ich keinem von meinen Kollegen erzählen. Ich bedanke mich überschwänglich, und sie ist davon überzeugt, dass wir jetzt dicke Freunde sind.
Später am selben Abend lese ich Mr. Spurlock einen Zeitschriftenartikel über einen Bauträger in Tennessee vor, der ein vernachlässigtes Bürgerkriegsschlachtfeld planieren will, um noch eine Ladenzeile und billige Eigentumswohnungen aus dem Boden zu stampfen. Einheimische und Denkmalschützer leisten Widerstand, aber der Bauträger hat Geld und Politik auf seiner Seite. Spurlock ist empört, und wir unterhalten uns lange darüber, wie man der richtigen Seite helfen könnte. Er erwähnt sein Testament nicht, und für mich ist es noch zu früh, die Initiative zu ergreifen.
In Altersheimen sind Geburtstage eine große Sache - aus naheliegenden Gründen. Man feiert besser, solange es noch geht. Es gibt immer eine Party in der Cafeteria, mit Kuchen, Kerzen, Eis, Fotos und Gesang und so. Wir, das Personal, tun unser Bestes, um für freudig erregten Lärm zu sorgen und die Fes tlich keiten auf mindestens eine halbe Stunde auszudehnen. Vielleicht in der Hälfte der Fälle sind ein paar Angehörige dabei, was die Stimmung hebt. Sind keine Angehörigen da, strengen wir uns noch mehr an. Jeder Geburtstag könnte der letzte sein. Das gilt zwar für uns alle, aber für manche mehr als für andere.
Lyle Spurlock wird am 2. Dezember fünfundachtzig, und seine großmäulige Tochter aus Jackson erscheint mit zwei Kindern und drei Enkelkindern und lässt ihren üblichen Schwall an Beschwerden, Forderungen und Vorschlägen los, ein lautstarker, aber nicht gerade überzeugender Versuch, ihrem geliebten Vater zu zeigen, wie wichtig er ihr ist, indem sie uns zur Schnecke macht. Sie bringen Luftballons und Papphüte mit, einen gekauften Kokoskuchen (sein Lieblingskuchen) und verschiedene Billiggeschenke wie Socken, Taschentücher und vergammelte Pralinen in grellbunten Packungen. Eine Enkelin stellt einen Ghettoblaster auf und lässt im Hintergrund Hank Williams (angeblich sein Lieblingssänger) laufen. Eine andere baut eine Ausstellung von vergrößerten Schwarz-Weiß-Fotos auf, die den jungen Lyle beim Militär, den jungen Lyle bei seiner (ersten) Hochzeit, den jungen Lyle vor vielen Jahrzehnten in den verschiedensten Posen zeigen. Die meisten Bewohner sind da und die meisten Angestellten, einschließlich Rozelle aus der Küche, wobei mir klar ist, dass es ihr nur um den Kuchen geht und nicht um das Geburtstagskind. Irgendwann kommt Wilma Drell Spurlock zu nahe, der, nachdem ich ihm keinen Salpeter mehr gebe, ungeschickt und für jeden sichtbar nach ihrem ausladenden Hinterteil greift. Er bekommt eine ordentliche Handvoll zu fassen. Sie quiekt entsetzt, und die meisten lachen, als wäre das Teil der Feier, aber es ist offensich tlich , dass Königin Wilma die Sache gar nicht witzig findet. Spurlocks Tochter reagiert über, kreischt los, gibt ihrem Vater einen Klaps auf den Arm und schimpft mit ihm, worauf die Stimmung ein paar Sekunden lang angespannt ist. Wilma Drell verschwindet und wird für den Rest des Tages nicht mehr gesehen. So aufregend war es für sie bestimmt schon seit Jahren nicht mehr.
Nach einer Stunde ist aus der Party die Luft raus, und mehrere unserer Freunde nicken ein. Die Tochter und ihre Brut packen eilig und sind bald weg. Umarmungen, Küsse und so weiter, aber der Weg nach Jackson ist noch weit, Daddy. Die Feier anlässlich von Lyle Spurlocks fünfündachtzigstem Geburtstag findet ein schnelles Ende. Ich bringe ihn zurück auf sein Zimmer, trage seine Geschenke und rede dabei über Gettysburg.
Unmittelbar nach dem
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