John Grisham
Zimmer bei Miss Ruby.
Manche Einzelheiten hat Mr. Spurlock präzise im Kopf - Schlachten, Generäle, Truppenbewegungen -, bei anderen liegt er völlig daneben. Ich konzentriere mich auf mein neuestes Lieblingsthema: die Erhaltung der Schlachtfelder des Bürgerkriegs. Ich schimpfe über die Zerstörung geheiligten Bodens, vor allem in Virginia, wo Bull Run, Fredericksburg und Winchester durch Bauvorhaben verkleinert worden sind. Mr. Spurlock wird wütend und nickt dann ein.
Vor Ort sehen wir uns verschiedene Denkmäler und markante Punkte auf dem Schlachtfeld an. Er glaubt felsenfest, dass sein Großvater Joshua Spurlock bei irgendeinem heldenhaften Manöver während der Schlacht von Brice's Crossroads verwundet worden ist. Zum Mittagessen setzen wir uns auf einen Weidezaun und essen Sandwiches, und er sieht mit entrücktem Blick wie in Trance in die Ferne, als könnten jeden Augenblick Kanonendonner und das Getrappel von Pferdehufen an sein Ohr dringen. Er spricht über seinen Großvater, der entweder 1932 oder 1934 im Alter von etwa neunzig Jahren verstorben ist. Als Lyle Spurlock klein war, erzählte ihm sein Großvater davon, wie er Yankees tötete, selbst angeschossen wurde und unter Nathan Bedford Forrest kämpfte, dem größten unter den Befehlshabern der Südstaaten.
»Sie waren zusammen bei Shiloh«, sagt er. »Mein Großvater hat mich mal dorthin mitgenommen.«
»Würden Sie gern noch einmal hinfahren?«, frage ich.
Er strahlt, und es ist eindeutig, dass er das Schlachtfeld liebend gern noch einmal sehen würde. »Das wäre ein Traum«, erwidert er mit feuchten Augen.
»Lässt sich arrangieren.«
»Am liebsten im April, weil die Schlacht auch im April stattgefunden hat. Dann kann ich mir den Pfirsichgarten, den Blutteich und das Hornissennest ansehen.«
»Versprochen. Wir fahren nächsten April.« Bis April sind es noch fünf Monate, und in Anbetracht meiner Vorgeschichte ist es zweifelhaft, ob ich dann noch in Quiet Haven arbeite. Falls nicht, wird mich jedoch nichts daran hindern, meinen Freund Lyle Spurlock zu besuchen und mit ihm einen Ausflug zu machen.
Auf der Rückfahrt nach Clanton schläft er die meiste Zeit. Zwischen seinen Nickerchen erkläre ich ihm, dass ich Mitglied einer überregionalen Gruppe bin, die sich für die Erhaltung der Bürgerkriegsschlachtfelder engagiert. Es handelt sich um eine rein private Organisation, die nicht von der Regierung unterstützt wird und daher auf Spenden angewiesen ist. Bei meinem kleinen Gehalt kann ich jedes Jahr nur wenig beitragen, aber mein wohlhabender Onkel spendet große Summen, wenn ich ihn darauf anspreche.
Lyle Spurlock ist höchst interessiert.
»Wenn Sie wollen, können Sie sie in Ihrem Testament bedenken«, sage ich.
Keine Reaktion. Nichts. Ich lasse die Sache auf sich beruhen.
Wir fähren nach Quiet Haven zurück, und ich bringe ihn auf sein Zimmer. Während er Pullover und Schuhe auszieht, bedankt er sich bei mir für den schönen Tag. Ich klopfe ihm auf den Rücken und versichere ihm, dass es mir ebenfalls großen Spaß gemacht hat.
»Gill, ich habe kein Testament«, sagt er, als ich schon im Gehen bin.
Ich tue überrascht, bin es aber nicht. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen, vor allem in Pflegeheimen, nie ein Testament gemacht haben. Ich gebe mich schockiert und enttäuscht.
»Lassen Sie uns später darüber reden, wenn Ihnen das recht ist«, sage ich dann. »Ich weiß, was Sie unternehmen müssen.«
»Gern«, erwidert er erleichtert.
Um halb sechs am nächsten Morgen liegen die Gänge verlassen, das Licht ist noch ausgeschaltet, und alles schläft oder sollte schlafen. Ich sitze am Empfang und lese eine Schilderung von General Grants Südstaatenfeldzug, als zu meiner Überraschung plötzlich Miss Daphne Groat vor mir auftaucht. Sie ist sechsundachtzig, dement und darf sich nur im rückwärtigen Flügel bewegen. Ich habe keine Ahnung, wie sie es durch die abgeschlossene Tür geschafft hat.
»Kommen Sie schnell!«, zischt es mit hohler, brüchiger Stimme aus dem zahnlosen Mund.
»Was ist los?« Ich springe auf.
»Harriet! Sie liegt auf dem Boden.«
Ich sprinte zum rückwärtigen Flügel, gebe den Code ein, reiße die schwere, gesicherte Tür auf und laufe durch den Gang zu Zimmer 158, wo Miss Harriet Markle lebt, seit ich in der Pubertät war. Ich schalte das Licht in ihrem Zimmer ein, und da liegt sie, auf dem Fußboden, offenbar bewusstlos, nackt bis auf die schwarzen Socken, und in einer widerlichen Pfütze aus
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