John Lennon - across the universe - die spirituelle Biografie
er auf das Thema zu sprechen gekommen: »Ich weiß nicht, wie könnte jemand wie ich, der bis hin zur Farbe seiner Socken alles in Frage stellt, an einen alten Mann im Himmel glauben?« Dann, nach einer gedankenverlorenen Redepause, fügte er hinzu: »Ich glaube an etwas, ganz entschieden. Ich glaube, dass ein Einfluss am Werk ist, den man nicht physikalisch erklären kann.« 78
Als ihm jemand ohne Umschweife die Frage stellte: »Glauben Sie an Gott?«, ging er in seiner Antwort stärker auf Einzelheiten ein und griff zur Veranschaulichung auf ein plastisches, ausgesprochen suggestives Bild zurück: »Ja. Ich glaube, dass Gott eine Art Kraftwerk ist, ein Elektrizitätswerk, in dem die Elektrizität gespeichert wird. Und dass er eine überlegene Energie ist, dass er weder gut noch böse, weder rechts noch links, weder schwarz noch weiß ist. Er
ist
einfach. Und wir zapfen diese Energiequelle an und machen daraus, was wir wollen. Genauso wie die Elektrizität Menschen auf einem Stuhl töten und man einen Raum mit ihr beleuchten kann.« 79
Der Vergleich mit dem Kraftwerk erleichterte das Verständnis seiner Ausführungen in einem anderen Interview, in dem er die Empfindung zum Ausdruck brachte, er und Paul seien nicht Schöpfer der von ihnen verfassten Songs, sondern sie hätten für diese lediglich als Kanal fungiert. Dann schweifte er ab: »Ähnlich, wie wenn von Gott die Rede ist. Ich sage ›Gott‹. Und damit meine ich ›Gott‹, ich meine ›Gottheit‹, ich meine ›Es‹. … Wenn ich aber in einer privaten Unterhaltung auf Gott zu sprechen komme, muss ich all das – ›Gott‹, ›Götter‹, ›Gottheit‹, ›Es‹ – gar nicht erst durchgehen. Denn Yoko, oder wen auch immer ich in dem Moment als Gesprächspartner vor mir habe, ist sich selbstverständlich darüber im Klaren, dass ich hier eher ›Es‹ meine als ›diesen einen alten Mann‹ im Himmel.« 80
Ein personifizierter Gott, zu dieser Auffassung gelangte Lennon, verhilft dem menschlichen Gehirn zu einer Art Abwehrmechanismus angesichts der Belastungen, mit denen es im Leben konfrontiert wird. In dem Song »God« fasst er diesen Gesichtspunkt kurz und prägnant in den Aphorismus: »Gott ist eine Vorstellung, mit der wir unseren Schmerz bemessen« (»God is a concept by which we measure our pain«).
Diesen Song, den er geschrieben hat, kurz bevor er dreißig Jahre alt wurde, könnte man als eine persönliche Unabhängigkeitserklärung ansehen. Ausgangspunkt des Songs ist der eben genannte Aphorismus, den er zur Bekräftigung gleich noch einmal wiederholt. Anschließend zählt er eine ganze Litanei von Dingen (überlieferte Texte, Institutionen, Methoden) und Personen auf, an die er nicht glaubt, darunter Jesus, Buddha, die Bibel, die Bhagavadgita. Auf Kennedy, Elvis und Zimmerman (Bob Dylan) nimmt er in diesem Kontext ebenfalls Bezug. Die Aufzählung endet mit den Beatles.
Lennon geht es hier schlicht und einfach um intellektuelle Eigenständigkeit:
Sämtliche
Glaubenssysteme und
jedwedes
Idol zu verwerfen, darauf kommt es ihm an. Das gilt auch und gerade für das Idol, an dessen Entstehung er maßgeblichen Anteil hatte und dem er seine Macht und seinen Einfluss verdankte.
Nach Zurückweisung all der Gedankengebäude und Anschauungen – der Logiksysteme und Offenbarungen, der Mutmaßungen, auf Annahmen und Behauptungen basierenden Betrachtungen, der weisen Einsichten und des Geschwafels – seitens wohlmeinender, jedoch nicht unfehlbarer Mitmenschen, was bleibt dann noch?
Ein freidenkerisches, sich eigenständig orientierendes, autonomes Individuum.
»Ich denke, also bin ich«, dieses Diktum bildete für Descartes die »unerschütterliche Grundlage«, zu der er mit den Mitteln der Logik und durch methodisch eingesetzten Zweifel an der eigenen Erkenntnisfähigkeit gelangte. Aus Lennons Mund hätte ein entsprechender Fundamentalsatz wohl eher gelautet: »Ich glaube nicht, also bin ich.«
Im Anschluss an die Litanei der negativen Feststellungen in »God« gelangt Lennon zu einem positiven Schluss und beschreibt eine ganz und gar
ihm
eigene Realität. Weder bereit, sich in den Bann von Texten aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit ziehen zu lassen noch in den Bann von historischen Persönlichkeiten, wendet er sein Augenmerk dem Hier und Jetzt zu. Grundlage seiner Wirklichkeit werden die selbst gemachten Erfahrungen sein und nicht zuletzt die Beziehung zu der Frau, die er liebt.
Mit Ausnahme seiner kurzen Episode bei Maharishi Mahesh
Weitere Kostenlose Bücher