John Medina - 02 - Gefaehrliche Begegnung
hätte, nein. Ihr Unbehagen ihm gegenüber war rein instinktiv, es hatte keinen konkreten Grund. Sie wünschte, er wäre einer der Männer, die in die Giftgasfabrik gingen, anstatt allein hier mit ihr die Stellung zu halten. Der Gedanke, zwei Stunden allein mit ihm verbringen zu müssen, war zwar längst nicht so aufreibend wie die Vorstellung, dass Dallas in höchster Gefahr schweben würde, aber schlimm genug. In ihrem ohnehin angespannten Zustand konnte sie den zusätzlichen Stress mit dem stummen Klotz weiß Gott nicht gebrauchen.
Tucker hatte ursprünglich an Dallas’ Stelle gehen wollen, aber dieser argumentierte dagegen. »Schau, Boss«, hatte er auf seine ruhige Weise gesagt, »es ist ja nicht so, dass du den Job nicht machen könntest, du bist genauso gut wie ich, aber für dich wär’s ein überflüssiges Risiko. Wenn’s keine andere Möglichkeit gäbe, wär’s was anderes, aber so ist es nicht.« Die beiden hatten einen unergründlichen Blick ausgetauscht, dann hatte Tucker kurz genickt.
Dallas und Tucker kannten einander von früher, hatten schon früher gelegentlich zusammengearbeitet. Das Einzige, was in Niemas Augen für den Teamchef sprach, war die Tatsache, dass ihr Mann ihm vertraute und ihn achtete. Und Dallas Burdock war alles andere als leichtgläubig, ganz im Gegenteil. Dallas war der zäheste, gefährlichste Mann, dem sie je begegnet war, ja, sie hatte sogar geglaubt, der gefährlichste überhaupt. Bis sie Tucker traf.
Und das war an sich schon beängstigend, denn Dallas war wirklich unglaublich. Bis vor fünf Monaten hätte sie nicht einmal gedacht, dass solche Männer überhaupt existierten. Jetzt wusste sie es besser. Mit zugeschnürter Kehle beobachtete sie ihren Mann dabei, wie er konzentriert, den schwarzen Schopf über die Ausrüstung gebeugt, alles säuberlich verstaute. Seine Konzentrationskraft war beängstigend; wenn er es wollte, dann existierte nichts mehr außer seiner Aufgabe. Eine solche Konzentration hatte sie ansonsten nur bei einem anderen Mann beobachtet: bei Tucker.
Irgendwie konnte sie es noch immer nicht fassen, dass sie wirklich und wahrhaftig mit diesem Mann verheiratet war, mit einem Mann wie Dallas. Sie kannte ihn erst seit fünf Monaten und liebte ihn beinahe ebenso lange, dennoch war er in so vieler Hinsicht noch ein Fremder für sie. Sicher, allmählich begannen sie einander besser kennen zu lernen, begannen sich in ihre Ehe einzugewöhnen, falls man bei einem Beruf wie dem ihren überhaupt von Gewöhnung sprechen konnte. Sie waren beide Vertragsagenten, die für die unterschiedlichsten Auftraggeber arbeiteten, meist jedoch für die CIA.
Ja, Dallas war ruhig, gelassen und zuverlässig. Früher hätte sie solche Charaktereigenschaften als wünschenswert erachtet – vorausgesetzt, man war der Typ Heimchen am Herd. Wünschenswert, aber langweilig. Doch jetzt nicht mehr. Nichts an Dallas ließ sich als langweilig bezeichnen. Saß die Katze im Baum und konnte nicht mehr herunter? Dallas konnte klettern wie ein Affe. Ein verstopftes Wasserrohr? Dallas war ein unglaublich begabter Klempner. Zu hoher Wellengang beim Schwimmen im Meer? Die Baywatch-Schönlinge konnten Dallas, was Schwimmkünste betraf, nicht das Wasser reichen. Wurde ein ausgezeichneter Schütze gebraucht – auch hier war Dallas der Richtige. Und einen Sprengexperten für eine Giftgasfabrik im Iran? Dallas war dein Mann.
Also gehörte schon was dazu, um noch tougher und gefährlicher zu sein als Dallas, aber Tucker … ja, er war es. Sie wusste nicht, warum sie sich da so sicher war. Es lag nicht etwa an Tuckers physischer Erscheinung; er war groß und drahtig, aber nicht so muskulös wie Dallas. Nervös war er ebenfalls nicht. Falls überhaupt, wirkte er noch gelassener als Dallas. Dennoch war da etwas in seinen Augen, in seiner charakteristischen Reglosigkeit, das ihr verriet, dass Tucker ein äußerst gefährlicher Mann war.
Doch sie behielt ihre Zweifel am Boss für sich. Sie wollte Dallas’ Meinung über Tucker vertrauen, denn sie vertraute ihrem Mann vollkommen. Im Übrigen war sie es gewesen, die diesen Auftrag unbedingt hatte annehmen wollen. Dallas war mehr für einen Tauchurlaub in Australien gewesen. Nun, vielleicht war sie ja einfach nur nervös und deshalb so empfindlich. Immerhin würde man sie töten, wenn sie aufflogen, aber um den Auftrag erfolgreich auszuführen, mussten sie das Risiko, entdeckt zu werden, in Kauf nehmen.
In der kleinen Fabrik im Herzen dieses kalten
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