John Medina - 02 - Gefaehrliche Begegnung
natürlich schön.«
»Ich finde, dieser Ton steht dir gut«, warf Niema ein, weil sie fand, dass Frauen immer zusammenhalten sollten. Und es war nicht gelogen; Laure bewies eine über ihr Alter hinausgehende Reife, indem sie ein zartes Rosa wählte und nur einen Hauch auftrug. Ein Mehr hätte in diesem unglaublich blassen Gesicht viel zu grell gewirkt. Niema ignorierte die Größe des Mädchens; was zählte, war ihr Verstand, nicht ihr Körper.
Ronsard blickte sie ungläubig an. »Sie schlagen sich auch noch auf die Seite von diesem … diesem ungehorsamen Fratz?«
Laure kicherte, als sie das hörte. Niema begegnete Ronsards anklagendem Blick mit einer Unschuldsmiene und einem Schulterzucken. »Na klar. Was hätten Sie denn von mir erwartet?«
»Dass Sie seiner Meinung sind«, warf Laure ein. »Er erwartet von allen seinen Frauen, dass sie immer einer Meinung mit ihm sind.«
Diesmal war Ronsards Überraschung nicht geheuchelt. Sprachlos starrte er seine Tochter an, seine kleine unschuldige Tochter, von der er so eine Äußerung am allerwenigsten erwartet hätte.
»Aber ich bin nicht eine seiner Frauen«, verwies sie Niema. »Ich bin lediglich eine Freundin.«
»Er hat mir noch nie eine der anderen vorgestellt, deshalb dachte ich, dass Sie vielleicht meine maman werden wollen.«
Ronsard stieß einen erstickten Laut aus. Niema achtete nicht auf ihn und grinste das Kind an. »Nein, so ist das nicht. Wir sind nicht ineinander verliebt, und außerdem ist dein Papá allergisch gegen das Heiraten.«
»Ich weiß, aber er würde heiraten, wenn er glaubte, dass es das ist, was ich mir wünsche. Er verwöhnt mich viel zu sehr. Ich bekomme alles, was ich will, deshalb versuche ich, ihn um so wenig wie möglich zu bitten, denn sonst hätte er überhaupt keine Zeit mehr für etwas anderes.«
Dieses Kind besaß sowohl kindliche Unschuld und Vertrauen als auch eine Reife und einen Scharfsinn, die weit über ihre Jahre hinausgingen. Ihre Krankheit, worin immer sie auch bestehen mochte, zwang sie, weit früher und weit mehr über sich nachzudenken, als dies bei Jugendlichen gewöhnlich der Fall war. »Während mein Papá sich wieder erholt, würde ich Ihnen gern meine Zimmer zeigen«, sagte sie und wendete geschickt ihren Rollstuhl.
Niema ging neben dem Rollstuhl des Mädchens her, während dieses dem Gast eine Führung durch ihre Räume angedeihen ließ. Alles war speziell auf Laures Bedürfnisse zugeschnitten, alles so angeordnet, dass sie es vom Rollstuhl aus erreichen konnte, und an der Seite des Rollstuhls war eine große Zange befestigt, mit der sie etwas aufheben konnte, das sie eventuell fallen gelassen hatte. Eine Frau mittleren Alters kam lächelnd herein, und Laure stellte sie als ihre Pflegerin Bernadette vor. Ihr Schlafzimmer lag gleich neben Laures Räumen, sodass sie verfügbar war, wenn das Kind sie nachts brauchen sollte.
Alles, was für ein junges Mädchen nur irgendwie von Interesse sein konnte, war hier zu finden. Es gab Bücher, Videofilme, Puppen, Spiele, Modezeitschriften und vieles mehr. Laure zeigte Niema alles, während Ronsard verwirrt und ein wenig nachdenklich darüber, so plötzlich überflüssig geworden zu sein, hinter ihnen hertappte.
Laure zeigte Niema sogar ihr Schminktäschchen. Ronsard entwich erneut ein erstickter Laut. Das war nicht die Spielzeugschminke eines Kindes, sondern echte Kosmetika von Dior, verpackt in einem erstaunlichen silbernen Täschchen in der Form eines Zugs. »Ich habe es aus einem Katalog bestellt«, erklärte sie, ohne ihren entsetzten Vater zu beachten. »Aber ich kriege es einfach nicht hin. Sogar der Lippenstift ist … ist … also ich sehe damit wie ein Clown aus. Heute bin ich nur mit dem Finger über den Lippenstift gefahren und dann über die Lippen.«
»Das ist sehr gut, so machen das viele Frauen«, erklärte Niema, zog einen Stuhl heran und nahm das Zugtäschchen auf ihren Schoß. Eins nach dem anderen holte sie die schlanken Tuben und Fläschchen und Stifte hervor. »Mit dem Schminken ist es wie mit allen anderen Dingen auch: Man braucht Übung, bis man es richtig beherrscht. Und manches wird nie gut aussehen, weil es einem einfach nicht steht. Du musst es einfach ausprobieren. Möchtest du, dass ich’s dir zeige?«
»O ja, bitte«, sagte Laure und beugte sich eifrig vor.
»Ich verbiete es«, warf Ronsard mit mehr Verzweiflung als Strenge ein. »Sie ist zu jung …«
»Louis«, unterbrach ihn Niema. »Husch, husch, fort mit Ihnen. Das hier geht
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