John Medina - 02 - Gefaehrliche Begegnung
Ärzte erzählten ihr, dass der Säugling wahrscheinlich nicht lebensfähig ist, und sie verschwand. Ich habe Laure mit zu mir nach Hause genommen.
Ich bin nicht arm. Meine Eltern waren vermögend. Aber es reichte nicht, um das Überleben meines kranken Kindes zu sichern. Also benutzte ich mein Entree in die feinen Pariser Kreise, um die nötigen Kontakte zu knüpfen und mich vor Strafverfolgung zu schützen. Schauen Sie mich nicht so traurig an, meine Liebe. Ich bin weder eine galante noch eine tragische Figur, ich bin vielmehr rücksichtslos und pragmatisch. Meine einzige wirklich verwundbare Stelle ist meine Tochter, bei ihr werde ich zu Wachs, wie Sie ja gesehen haben. Sie kann manchmal ganz schön rücksichtslos sein, wenn sie etwas durchsetzen will, was sie zweifellos von mir geerbt hat.«
»Ich bin nicht um Ihretwillen traurig«, wehrte Niema ab. »Sie haben Ihre Wahl getroffen. Es geht mir vielmehr um Ihre Tochter.«
»Und ich würde diese Wahl wieder treffen, wie ich schon sagte. Und Sie vielleicht auch.« Er musterte sie mit einem zynischen Lächeln. »Man weiß manchmal erst, wozu man fähig ist, wenn es um’s eigene Kind geht.«
Dem konnte sie, wenn sie ganz ehrlich war, nicht widersprechen. Sie war kein Mensch, der den möglichen Tod des eigenen Kindes einfach kampflos hinnehmen würde. Sie würde Himmel, Hölle und Erde in Bewegung setzen, wenn auch nur die kleinste Chance bestünde, und selbst wenn nicht, sie würde es trotzdem versuchen. Genau das tat Ronsard. Obwohl sie seinen Mitteln nicht zustimmen konnte, sie würde genauso reagieren wie er.
Er stellte sein Glas mit einem entschiedenen Knall ab und stemmte sich auf die Füße. Dann fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare und rollte die Schultern, als wolle er eine Verspannung lockern. »Auf mich warten einhundert Gäste«, sagte er. »Ich sollte mich wohl besser meinen Pflichten als Gastgeber widmen. Aber ich wollte, dass Sie Laure kennen lernen und … nun ja, von diesem Teil meines Lebens erfahren. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, ihr das mit dem Schminken zu zeigen. Ich hatte ja keine Ahnung.«
»Wie sollten Sie auch?« Niema wollte beim Gedanken an das junge Mädchen, das so gut wie möglich aussehen wollte, wenn es zu Ende ging, fast das Herz brechen.
»Ich verbiete Ihnen zu weinen.«
Sie straffte ihre Schultern. »Tue ich gar nicht. Aber wenn ich will, dann weine ich. Das lasse ich mir von niemand verbieten.«
Er hob die Hände. »Ich ergebe mich. Kommen Sie, gehen wir zu den anderen zurück.«
Beim Verlassen seines Privatflügels kam ihnen eine große blonde Walküre von Frau entgegen. »Tut mir sehr Leid, Sie stören zu müssen«, sagte sie zu Ronsard. Ihrer Aussprache kannte man auf Anhieb die Amerikanerin an. »Aber es gibt da ein paar Dinge, um die Sie sich kümmern sollten.«
Er nickte. »Niema, das ist Cara Smith, meine Sekretärin. Cara, Niema Jamieson. Würden Sie uns bitte entschuldigen, meine Liebe?«, sagte er höflich zu Niema. »Die Pflicht ruft.«
»Selbstverständlich.« Niema sah ihm nach, wie er, Cara dicht hinter sich, die Treppe hinunterging. Sie merkte sich die Richtung, in die er verschwand; sein Büro musste demnach im Erdgeschoss, und zwar im Westflügel, liegen.
Er und vor allem Laure taten ihr von Herzen Leid. Doch das würde sie nicht von der Erfüllung ihrer Aufgabe abhalten.
Gemächlich schlenderte sie in dieselbe Richtung, doch als sie die große Eingangshalle erreichte, war er nirgends mehr zu sehen. Sie waren hinter einer der zahlreichen Türen verschwunden, und es wäre doch zu verdächtig gewesen, wenn sie jetzt in sämtliche Zimmer gespäht hätte.
Doch zumindest hatte sie nun eine vage Vorstellung davon, wo sich sein Büro befand. Sie würde versuchen, ihn dazu zu bringen, ihr zumindest das Erdgeschoss zu zeigen, und sicherlich würde er dabei im Vorübergehen auf sein Büro hinweisen.
Morgen kam John. Wenn sie bis dahin bereits wüsste, wo das Arbeitszimmer lag, dann könnten sie es vielleicht schon morgen Nacht verwanzen und die Computerdateien kopieren.
Mit einem Mal blickte sie dem Kommenden voller Vorfreude und Spannung entgegen. Morgen kam John.
18
Gegen zweiundzwanzig Uhr fuhr John vor Ronsards Anwesen vor. Das Grundstück war hell erleuchtet, dass man den Lichtschein schon aus mehreren Kilometern Entfernung sah. Die gewundene Auffahrt führte zu einem großen Doppelgatter, das bei seiner Annäherung geschlossen blieb. Als er anhielt, tauchte ein uniformierter
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