John Sincalir - 0973 - Der verhexte Blutwald (1 of 2)
aufzufrischen.
Greta kannte und liebte ihn, denn sie hatte ihn selbst in sich. Sie mochte den bitteren und zugleich leicht süßlichen Geruch.
Seinen Geruch!
Der Atem der alten Götter, das Flair der Bäume und der alten Erde. Sie ging weiter. Manchmal kam sie sich vor wie eine Feder, und sie hätte am liebsten abgehoben, um wie ein Vogel in die Bäume hineinzufliegen, wo sie sich niederließ.
Ihre Seele taute auf. Greta jubelte. Sie fühlte sich wahnsinnig wohl. Es war der große Teil ihres Lebens, von dem sie immer geträumt hatte. Nur in diesem Wald fühlte sich die Frau eins mit der Natur, und die Lähmung hatte sie vergessen. Sie würde am anderen Morgen wieder zurückkehren, aber das hier war ihr eigentliches Leben, und nicht das, das sie am Tage führte.
Der Boden war zumeist eben. Ab und zu senkte er sich, um kleine Mulden zu formen, aber sie stellten keine Hindernisse dar. Einen bestimmten Ort wollte die Frau erreichen, und sie wußte, daß es bald soweit war. Für sie war es das Zentrum des Waldes, wo sich alles an alten, geheimnisvollen Kräften versammelt hatte, was in der tiefen Vergangenheit entstanden war und hoffentlich nie sterben würde.
Ihr Atem ging normal.
Die Luft war kühl. Sie war feucht und von schweren Gerüchen durchzogen. Der alte Boden atmete aus. Er wollte das, was in ihm steckte, nicht mehr für sich behalten.
Rosenrot atmete ein. Tief und fest. Dieses Wunderbare, für das sie keine Erklärung hatte. Ein Stück Leben aus der Natur. Es hatte die Zeiten überdauert und war stärker als Menschen.
Ich bin nicht mehr Greta. Ich bin jetzt Rosenrot. Das Mädchen aus dem Märchen, das ebenfalls in den Wald geht und sich dort wohl fühlt. Als wären die Gedanken so etwas wie ein Startschuß gewesen, nahm sie plötzlich den schweren Duft der Waldrosen wahr, die genau dort wuchsen, wohin sie gehen mußte.
Ins Zentrum. Ins Herz. Hier lebte die Seele. Hier konnte sie in den fremden Botschaften und Kräften baden und sich dabei wohl wie nie fühlen.
Da vergaß sie alles, den Tag, die Nacht, auch Ginette, ihre Freundin. Da gab es nur den Wald, der ihr schon lange Vater und Mutter ersetzte.
An einem bestimmten Punkt blieb Rosenrot stehen. Sie hatte ihn mit traumwandlerischer Sicherheit gefunden, schaute zu Boden und sah dort die weiche Unterlage aus zahlreichen Rosenblättern, die allein für sie geschaffen worden war.
Der Wind mußte sich auf ihre Seite gestellt haben. Er hatte die Blätter herangeweht und das Bett für sie bereitet. Rosenrot schaute auf den Boden nieder und schüttelte den Kopf. Sie war glücklich, und sie wischte sich dabei über ihre Augen, in denen sich die Tränen gesammelt hatten.
Es war einfach wunderbar, dieses Leben führen zu dürfen, und sie konnte den Kräften des Waldes gar nicht dankbar genug sein.
Einen letzten Blick warf sie in die Runde. Sie suchte nach fremden Einflüssen, ohne jedoch welche zu finden. Das hier war ihre Insel, hier regierten die anderen Kräfte, und alles Menschliche war weit zurückgedrängt worden.
Mit wie einstudiert wirkenden Bewegungen strich Rosenrot ihr Kleid glatt.
Als wollte sie sich für etwas Besonderes vorbereiten. Sie zupfte auch den Ausschnitt zurecht, denn er war etwas verrutscht, so daß sich ihre festen Brüste hervorgewölbt hatten.
Dann ließ sich die Frau nieder.
Sie sank zusammen. Nicht schnell, sondern sehr gemächlich, beinahe zu langsam, aber sie wollte alles genießen. Wie wunderbar weich, angenehm und kühl die Rosenblätter doch waren. Ein herrliches Bett.
Sie hätte nie ein besseres finden können.
Rosenrot legte sich auf den Rücken.
Die Augen standen offen. Sie waren zum Himmel gerichtet. Die Umgebung über sich nahm sie genau wahr. Es war der kleine Ausschnitt aus der riesigen Welt, aber er gehörte ihr, und das war wichtig.
Der blasse Mond, der nicht mal von einer dünnen Schleierwolke verdeckt wurde. Das Astwerk der Bäume. Mal mächtig, dann wieder filigran. Ein Scherenschnitt, wie ihn nur die wunderbare Natur selbst hervorbringen konnte.
Die Arme lagen an ihrem Körper. Die Hände waren so gedreht, daß die Flächen die weichen Blätter der Rosen berührten. Wie eine unsichtbare Decke hatte sich der Duft über sie gelegt. Rosenrot genoß ihn, denn das genau war ihre Welt.
Und sie gab sich ihr hin …
*
Suko und ich waren nach Mahd geflogen und hatten uns in einem kleinen Gasthaus einquartiert. Der nächst größere Ort war Killerney, aber der interessierte uns nicht, denn er schien
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