John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
Laien verstanden nicht, dass tausend langwierige Arbeitsstunden im Labor dem Durchbruch den Weg ebneten. Wenn er immer einen Schritt nach dem anderen setzte, würde er sein Ziel erreichen.
9
Als Exley das Jefferson Hotel betrat, hob der Portier zum Gruß die Hand an die Kappe. Ihre flachen Absätze klapperten auf dem Marmorboden der Lobby. Die Klimaanlage des Hotels war eine wahre Erlösung an diesem schwülen Sommerabend.
»Guten Abend, Mrs Exley.«
»Wie geht es Ihnen, Rafael?«
»Es ist mir noch nie besser gegangen, Ma’am.«
Sie wandte sich nach rechts in die Lounge, einen ruhigen Raum mit roten Wänden, dessen dunkle Holztische den Eindruck vermittelten, als würden sich hier ständig Politiker und Lobbyisten treffen. Allerdings war die Lounge größtenteils leer. Das Jefferson war nie so prächtig gewesen wie das Hay-Adams, und mit der Eröffnung des Ritz-Carlton und anderer 5-Sterne-Hotels war es endgültig auf den zweiten Rang abgerutscht. Eine alte Matrone, deren Zimmer erst gefüllt wurden, wenn die anderen Hotels ausgebucht waren.
Exley jedoch gefiel die verblassende Eleganz des Hotels, die Blumenbouquets in der Lobby, und dass die Portiers ihren Namen wussten. Außerdem lag das Jefferson auf der 15th Street und somit nur einen kurzen Fußmarsch von ihrem Apartment entfernt. Nach ein paar Drinks konnte sie immer noch nach Hause taumeln. Heute war sie aus einem besonderen Anlass hier, der Zusammenkunft des S.L. Clubs,
bestehend aus fünf berufstätigen Frauen, die einander im Abstand von mehreren Wochen hier trafen. Eine von ihnen war Reporterin für die Post, eine andere Rechtsanwältin bei Williams & Connolly. Alle waren entweder geschieden oder hatten nie geheiratet, und alle waren im mittleren Alter oder älter. Exley hasste es, sich selbst als Frau mittleren Alters zu betrachten. Aber realistisch gesehen, war sie das. Bald schon würde sie in die Menopause kommen. Okay, das vielleicht noch nicht, aber immerhin.
Der S.L. Club besaß keine Statuten, keine Eintrittsgebühren und keinen echten Zweck, abgesehen davon, dass er seinen fünf Mitgliedern die Möglichkeit bot, sich über ihre Arbeit und die Familie zu beschweren und ein paar Zigaretten zu rauchen, ohne dass die Kinder es sahen. Exley hatte Lynette, die inoffizielle Leiterin des Clubs, vor drei Jahren bei einer endlosen Party anlässlich des amerikanischen Unabhängigkeitstags kennengelernt.
Obwohl die fünf Frauen Freundinnen waren, waren sie nicht Teil des Lebens der anderen. So konnten sie untereinander offen und ehrlich über ihre wetternden Eltern und komplizierten Kinder sprechen. Über die Exmänner, die wieder geheiratet hatten und nun nicht mehr für die Privatschule ihrer Kinder zahlen wollten. Über kleine Triumphe in der Arbeit und zu Hause, über bürokratische Siege oder über Auszeichnungen, die ihre Kinder gewonnen hatten. Das war vermutlich das Beste an diesem Club. Von Frauen erwartete man, dass sie nicht mit ihren Erfolgen prahlten, aber Exley genoss es, in diesem Rahmen Gelegenheit zu haben, ein wenig zu feiern, wenn die Dinge gut liefen. So freute sie sich immer auf diese Treffen, selbst – oder besonders – wenn die Arbeit übermächtig wurde, wie in den letzten Monaten. Heute Abend war sie jedoch abgelenkt.
Wie immer hatten sie den Tisch in der Ecke gewählt, und wie immer kam sie zu spät. Sobald sie sich auf den letzten freien Stuhl gesetzt hatte, wo auf sie bereits ein Glas Wein wartete, hoben alle ihre Gläser und prosteten einander zu: »Auf die Sophisticated Ladies!«
»Auf die Sophisticated Ladies.« Kling.
Auf die kultivierten Ladys? Würde enttäuscht und hoffnungslos nicht besser passen? In der Tiefe ihres Kopfes hörte Exley unablässig eine kleine Stimme, und vermutlich ging es den anderen Frauen ebenso: Deine Kinder betrachten dich nicht einmal mehr als ihre richtige Mutter. Du wirst für den Rest deines Lebens allein sein. Die beunruhigendsten Worte hörte jedoch nur sie allein: In den Mitschnitten verbirgt sich ein Muster. Etwas Verheerendes kommt auf uns zu, und du bist zu dumm, um es zu sehen.
Sie musste diese Vorahnungen abschütteln, ehe sie daran zugrunde ging. Es gab kein Muster. Sie konnte keine Informationen analysieren, die nicht existierten. Diese verdammte Stimme. Männer hörten diese Stimme nicht. Männer erwarteten Erfolg, selbst wenn sie versagten; Frauen hingegen erwarteten selbst nach einem Erfolg, dass sie versagten.
Lynette, eine schlanke Afroamerikanerin, die als
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