John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
dem sie eben vorübergegangen waren.
»Danke, Lieutenant.«
»Gern geschehen, Ma’am.« Augenblicklich machte er kehrt und ging mit langen Schritten davon. Offenbar konnte
er es kaum erwarten, von diesem Gebäude wegzukommen, dachte Exley.
Der Mann auf den Infrarotmonitoren bewegte sich kaum. Durch die Kapuze, die er trug, konnten sie sein Gesicht nicht erkennen. Aber sie hörten sein Schluchzen. »Weint er immer so?«, erkundigte sich Exley.
»Gegen Ende der dritten Sitzung hat er zu weinen begonnen«, informierte sie Saul. »Seitdem weint er fast immer nach ein paar Stunden.«
»Und wie viele Sitzungen hat er bisher gehabt?«
»Acht. Er macht gute Fortschritte«, sagte Saul.
»Wann hat er Wells erwähnt?«
»Vor etwa einer Woche. Wenn Sie wollen, kann ich ihn nochmals dazu befragen. Er ist sehr kooperativ, wenn es um Dinge geht, die wir bereits besprochen haben.«
Zunächst hatte ihnen Saul das ganze Gebäude gezeigt, ehe er sie hierhergebracht hatte. Das Loch lag im ersten Stock eines eigenen Flügels und war hermetisch abgeschlossen gegenüber Außengeräuschen und Licht, hatte er erklärt. Üblicherweise wurden derartige Räume unterirdisch gebaut, aber der Korallenkalk von Diego Garcia gestattete keine Tiefbauten.
»Bitte«, stieß der Mann auf dem Bildschirm hervor, »bitte«, während sein Weinen heftiger wurde. Sofern die Vernehmungsbeamten davon Notiz nahmen, ließen sie sich nichts anmerken.
»Wie lange ist er schon da drin?«, fragte Exley so gleichgültig wie möglich.
Saul warf einen Blick auf die Uhr. »Erst seit 19 Stunden. Aber seine Toleranz gegenüber dem Raum scheint geringer zu werden.«
»Geschieht das nicht immer?«, fragte Shafer.
»Einige dieser Kerle werden für eine Weile sogar stärker, was die Sache erschwert. Aber Farouk – nun, ich glaube, er ist bereit, vollständig zusammenzubrechen.«
»Was heißt das?«, erkundigte sich Exley.
»Üblicherweise führen wir zu einem gewissen Zeitpunkt während seiner Sitzungen ein zusätzliches Stresselement ein. Manchmal früher, manchmal später … sodass er nicht vorhersehen kann, wann es geschieht. Jetzt scheint ein guter Zeitpunkt zu sein.«
Diese dunkle, dunkle Dunkelheit. Farouk versuchte, bis tausend zu zählen, aber er konnte die Zahlen nicht mehr in der richtigen Reihenfolge aufsagen. Er hatte auch versucht, Abschnitte aus dem Koran zu rezitieren, doch jedes Mal, wenn er Allahs Namen aussprach, fühlte er sich noch verlorener. Deshalb hatte er auch das aufgegeben, und so saß er einfach in der Dunkelheit.
Der Amerikaner hatte recht, dachte Farouk. Das hier war schlimmer als der Tod. Vielleicht war er auch schon tot. Vielleicht war er auf diesem Dach in Bagdad gestorben und war nun in der Hölle. Aber das war unmöglich. Er hatte Allah gedient, so gut er konnte. Er gehörte in das Paradies.
»Das Paradies«, sagte er laut. »Das Paradies.«
Während er die Worte aussprach, schoss ein intensiver Elektroschock durch seine Beine. Schreiend vor Schmerzen warf er den Kopf in den Nacken. Seine Muskeln zuckten unkontrollierbar, während sie sich abwechselnd spannten und lösten. Nie zuvor hatte er einen so heftigen Schmerz gespürt. Er lief in einem Bein aufwärts und in dem anderen abwärts.
»AUFHÖREN, AUFHÖREN, AUFHÖREN!«, brüllte er.
Schließlich war es vorüber. »Allah«, stieß er hervor. Erst jetzt erkannte er, dass der Albtraum nur wenige Sekunden gedauert hatte. Gott sei Dank. Mehr hätte er auch nicht ertragen. Seine Beine zitterten immer noch von dem Schock, und seine Muskeln waren so warm, als wäre er gelaufen. Als er sie vorsichtig schüttelte, stellte er zufrieden fest, dass sie noch funktionierten.
Dann kehrte der Schmerz wieder. Er stieg in seiner linken Wade bis in den Oberschenkel hoch, lief quer über seine Taille und im anderen Bein hinunter. »AUFHÖREN! AUFHÖREN !« Während sein Herz wie wild pochte, konnte er sich nicht bewegen. Zeit existierte nicht mehr. Wie lange ihn der Schock durchströmte, konnte er weder genau sagen noch abschätzen.
Dann brach die Stromzufuhr ab. Ihm blieb gerade genug Zeit für drei Atemzüge, ehe es von neuem begann. Aus irgendeinem Grund schmerzte es diesmal noch stärker. Obwohl er sich zu überzeugen versuchte, dass sie diese Schockbehandlung nicht endlos weiterführen konnten – außer natürlich, wenn sie ihn tatsächlich töten wollten –, nützte ihm dieses Wissen nichts. Er wollte sie anflehen, damit aufzuhören, aber die Worte zerschmolzen auf
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