John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
Ungläubigen – sterben. Allerdings fürchtete er sich mehr davor zu versagen, als zu sterben.
Zumindest das hatte er mit Wells gemeinsam.
Sobald das Telefon läutete, wusste Wells, wer anrief, denn Khadri war der Einzige, der diese Nummer hatte. Er zog das Mobiltelefon aus der Tasche, atmete tief durch und nahm den Anruf an.
»Jalal.«
»Nam.«
»Sieh in deinen E-Mail-Account.« Klick.
»Wie du befiehlst, Omar«, sagte Wells zu der toten Leitung.
Endlich, dachte er. Endlich hatte sich Khadri entschieden, ihn einzusetzen. Er war sicher, dass dies die bedeutende Mission war, auf die er so lange gewartet hatte. Und selbst wenn ihn Khadri noch einmal in eine Sackgasse schickte, wusste Wells zumindest, dass er ihn wiedersehen würde. Diesmal würde er Khadri zerstören. Selbst wenn er dafür dem Mann mit bloßen Händen die Kehle herausreißen müsste.
Nun erkannte Wells, dass Khadri das Kernstück der Al-Quaida war, für die Pläne der Organisation sogar noch wichtiger als Sawahiri oder Bin Laden selbst. Khadri, und nur Khadri, kontrollierte das Netzwerk der Al-Quaida in den USA. Ohne ihn würde die Al-Quaida in ihren Möglichkeiten,
die USA anzugreifen, zumindest um fünf Jahre zurückgeworfen werden. Vielleicht sogar mehr, wenn auch nicht für immer. Damit blieb Major Glen Holmes und Wells’ alten Freunden in den Special Forces immer noch genug Zeit, um die Dschihadis in der Nordwestprovinz auszurotten, Sawahiri und Bin Laden gefangen zu nehmen und die Al-Quaida damit zu zerschlagen. Khadri war der Schlüssel.
15
In der öffentlichen Bibliothek von Doraville loggte sich Wells in seinen E-Mail-Account ein. Die Anweisungen waren einfach. Fahr nach Montreal – wobei Khadri ausdrücklich darauf bestand, dass er mit dem Auto fuhr. Hol in einem Hotel ein Paket ab. Fahr zurück. Khadri nannte auch die Telefonnummer der Kontaktperson, die er in Montreal treffen würde. Da das Treffen in knapp vierundzwanzig Stunden stattfinden sollte, musste er schnell aufbrechen.
In seinem Apartment packte Wells eine Reisetasche mit dem Nötigsten: Sanitätsausrüstung, Taschenlampe, schwarze Lederhandschuhe. Das Messer band er am Bein fest und die 45er, die er Sami abgenommen hatte, wickelte er mit dem Schalldämpfer in Plastikfolie und steckte sie in eine eigene Tasche. Auch wenn er sie vor der Grenze verstecken würde müssen, wollte er auf diese Reise eine Pistole mitnehmen. Seine übrigen Waffen ließ er in dem Apartment zurück. Bereits vor einer Woche war er die Glock losgeworden, indem er sie achtzig Kilometer nördlich von Atlanta in einem verlassenen Gebiet in den Chattahoochee River geworfen hatte. Das dunkle Wasser war kurz aufgespritzt, und dann war die Waffe spurlos verschwunden. Wie gern hätte Wells auch Qais und Sami so leicht aus seinem Gedächtnis gelöscht.
Wells legte auch den Koran in die Reisetasche. Nach allem, was geschehen war, und nach allem, was er getan hatte,
wusste er nicht mehr, was er glaubte. Dennoch erschien ihm das Buch wie ein alter Freund, den er lange nicht mehr gesehen hatte. Vielleicht hatten sie einander nicht mehr viel zu sagen, aber sie hatten einander einmal verstanden, und auch das zählte.
Beim Hinausgehen sah er sich noch einmal in dem Apartment um. Lucy war gestorben, während Ricky immer noch lebte und lustlos umherschwamm. Well entschied sich, dem Fisch ein letztes Mahl zu gönnen. Aus irgendeinem Grund ging er davon aus, dass er nicht mehr hierher zurückkommen würde. Das war auch kein großer Verlust. Die Wohnung hatte ihren Zweck erfüllt.
Auf dem Weg zu seinem Auto klopfte Wells an die Tür seines direkten Nachbarn Wendell Hury. Dies war der alte Mann, aus dessen Fernsehgerät täglich Gameshows in voller Lautstärke durch die Wände in Wells’ Apartment drangen. Auch wenn sie nicht wirklich befreundet waren, war Wendell der Einzige in Atlanta, der bemerken könnte, dass er fort war. Seltsamerweise hatte Wells das Gefühl, sich verabschieden zu müssen. Obwohl Wells durch die Tür hindurch Wendells Fernsehgerät hören konnte, antwortete der Mann nicht auf sein Klopfen. Nachdem er ein paar Sekunden gewartet hatte, wandte er sich ab.
Als Wells die Vororte hinter sich gelassen hatte und durch die üppig grünen Wälder im Nordosten Georgias fuhr, öffnete er die Seitenfenster. Die Septemberluft war warm und feucht, und am Himmel versprachen dicke Wolken einen nachmittäglichen Regenguss. Wells fühlte, wie ihm der Schweiß über den Rücken lief. Schließlich
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