John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
nickte, sperrte er die Handschellen auf.
Als Wells den Deckel des Aktenkoffers öffnete, fand er … nichts darin. Sorgfältig tastete er die Innenseiten mit der
Hand ab auf der Suche nach einem doppelten Boden. Aber er konnte nichts finden. Er war tatsächlich nur ein Lockvogel gewesen.
Müde schüttelte er den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Wer ist der Kurier? Wo ist das Paket?«
Khadri deutete auf Wells. »Das bist du.«
»Aber …« Wieder hustete Wells. Dann sah er zu Khadris Maske hinüber, und plötzlich verstand er.
»Ich bin infiziert.« Er sprach die Worte so ruhig, wie die letzten verklingenden Noten einer Symphonie, die viel zu lange gedauert hatte.
Khadris Lächeln war die einzige Bestätigung, die Wells benötigte. Im Geist ging er alle Möglichkeiten durch: Anthrax verbreitete sich nicht von Mensch zu Mensch. Pocken hatten eine längere Inkubationszeit.
»Es ist Pest, richtig?« Seine Stimme blieb so ruhig, als wäre sein Interesse rein theoretischer Natur.
»Sehr gut, Jalal.«
Einen Augenblick lang, aber nur einen einzigen Augenblick lang wurde Wells von tiefster Panik überfallen. Er sah, wie sich seine Lungen mit Blut füllten und seine Haut von innen her glühte. Unvorstellbare Qualen. Aber er beherrschte sich und wartete, bis die Angst vorüberging. Denn nur wenn er Ruhe bewahrte, könnte er Khadri jetzt noch schlagen. Als die Panik abklang sprach er mit ruhiger Stimme weiter. »Aber warum auf diese Weise? Warum habe ich nicht einfach den Krankheitserreger mitgebracht?«
»Was nützt mir eine Phiole mit dem Pest-Erreger? Ich bin kein Wissenschaftler. Außerdem ist das Pest-Virus nicht sehr widerstandsfähig. Zumindest außerhalb des Körpers. So hat es mir Tarik erklärt.«
»Ich dachte, Tarik sei Neuropsychologe.«
»Er ist Molekularbiologe. Und ein guter dazu. Auch wenn er ein paar persönliche Probleme hat.« Wells war nicht sicher, ob Khadri hinter der Maske lächelte. »Er sagte, dich zu infizieren wäre die beste Methode, um das Überleben des Virus sicherzustellen.«
Ein weiterer Hustenanfall schüttelte Wells.
»Offenbar hatte er recht«, sagte Khadri.
Wells sah sich um. »Sieben Männer. Wohin wirst du sie schicken?«
Khadri überlegte einen Augenblick. »Ich vermute, ich kann es dir jetzt erzählen, Jalal. Vier bleiben hier in New York, vorwiegend in den U-Bahnen, am Times Square und in der Grand Central Station. Die übrigen drei gehen nach Washington, Los Angeles und Chicago. Das ergibt viele Flüge. Sieben Märtyrer. Acht, dich mitgerechnet. Der Scheich wird zufrieden sein.«
Sieben Männer, die in voll besetzten U-Bahn-Wagen Wolken von Pestbakterien heraushusteten. In Boeings und Airbussen. In Kaufhäusern und Lobbies von Bürogebäuden. Wie viele Menschen konnte man infizieren, bevor man starb? Tausende? Zehntausende?
»Genial, Omar.« Ungeachtet seiner eigenen Situation beeindruckte Wells die Kühnheit des Plans. Dann erinnerte er sich an etwas. »Aber … ist Pest nicht mit Antibiotika heilbar?«
»Nam. Wenn sie rechtzeitig diagnostiziert wird. Aber in drei Tagen werden deine Leute andere Sorgen haben als die Pest. Außerdem wirkt der Erreger schnell, wie du besser weißt als jeder andere. Bevor die Amerikaner begreifen, was wir getan haben, werden die Krankenhäuser überfüllt sein.«
»Noch ein Anschlag?«
Diesmal war Wells sicher, dass Khadri hinter der Maske
lächelte. Er ist gesprächig, weil er zu einem Sterbenden spricht, dachte er.
»Anthrax?«, überlegte Wells laut. »Pocken?«
»Jalal. Es tut mir leid, dir zu sagen, dass du nicht mehr klar denkst. Würde ich einen biologischen Anschlag verwenden, um die Amerikaner von einem biologischen Anschlag abzulenken?«
»Dann ist es eine Bombe. So wie in Los Angeles.«
»Nicht ganz. Diese Bombe ist etwas Besonderes.«
Wells’ Fieber schien zu steigen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, der sich plötzlich dort gebildet hatte. »Eine schmutzige Bombe?« Dann hatte die CIA recht gehabt.
»Ich nenne sie den Gelben.«
»Den Gelben?«
»Du wärest beeindruckt von dem Gelben, Jalal. Zu schade, dass du nicht mehr am Leben sein wirst, um ihn zu sehen.«
Wells fragte sich, ob es ihm gelingen würde, nach seinem Messer zu greifen, quer durch den Raum zu stürmen und Khadri die Kehle durchzuschneiden, bevor man ihn niederriss. Vermutlich nicht. Zwischen ihm und Khadri standen sieben Männer. Außerdem ergab es keinen Sinn, Khadri jetzt zu töten. Gewiss wussten auch die anderen Männer, wo die
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