John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
Goldkette an einem Handgelenk. »Für Duke oder Texas?«
»Duke«, antwortete Wells, der eigentlich keine Lust hatte zu plaudern. Aber der Mann wirkte harmlos.
»Ich auch. Wohin fliegen Sie?«
Wortlos zuckte Wells die Achseln und starrte wieder zu dem Fernsehapparat hinauf. Doch der Mann übersah den Hinweis.
»Ich bin auf dem Weg nach Tampa. Wie ich die Northwest Airlines hasse. Letztes Jahr bin ich fast zweihunderttausend
Kilometer geflogen, aber sie haben mir für den Flug von Tampa hierher kein Upgrade gegeben. Ich konnte es nicht glauben. Sie schulden mir ein Upgrade.«
»Mhm«, knurrte Wells. Der Mann musste Vertreter sein, er würde ihn aber gewiss nicht danach fragen.
»Sind Sie verheiratet?«, erkundigte sich der Mann. »Ich bin verheiratet und habe fünf Kinder.«
»Meinen Glückwunsch.«
»Sie haben doch nichts dagegen, ein wenig zu plaudern?«
Wells war nicht imstande, dem Mann zu sagen, dass er verschwinden solle. Er wirkte irgendwie traurig, und Wells hatte seit Langem kein zwangloses Gespräch mit einem Amerikaner geführt. Man konnte es ja auch als Feldforschung betrachten.
Der Mann stürzte sein Bier in einem einzigen Zug hinunter. »Ich sollte auf etwas Stärkeres umsteigen. Darf ich Ihnen ein Bier bestellen? Übrigens, ich heiße Rich.«
»Danke, ich trinke keinen Alkohol«, wehrte Wells ab.
Ohne den Einwand zu beachten, rief Rich zum Barkeeper hinüber: »Einen doppelten Cuervo für mich und ein Bier für meinen Freund …«
»Ich habe gesagt, dass ich keinen Alkohol trinke.«
»Tut mir leid. Ich wollte nur freundlich sein. Dann also eine Cola«, fuhr Rich fort, während er dem Barkeeper zunickte. »Wissen Sie, vor dem 11. September hat es mir nichts ausgemacht zu fliegen. Aber seitdem schütte ich mich immer zu. Selbst jetzt noch.«
Wieder fragte sich Wells, ob er nicht einfach gehen sollte, denn er hatte keine Lust, über den 11. September zu sprechen. Dieser Tag beschäftigte ihn schon allein genug. Aber vermutlich war ein Flughafen der geeignete Ort für dieses Thema.
»Ich habe mich schon oft gefragt, was ich tun würde, wenn jemand ein Teppichmesser ziehen würde«, fuhr Rich fort. »Ich sage es Ihnen. Ich würde im Kampf fallen. Als Held, wie die Kerle auf Flug 93.«
»Als Held?«, fragte Wells ungläubig.
In dem Augenblick stellte der Barkeeper einen großzügig eingeschenkten Tequila vor Rich.
»Sie glauben also nicht, dass diese Männer Helden waren? «, gab Rich mit beleidigtem Blick zurück.
Auch wenn Wells nicht alle Einzelheiten kannte – von dem, was auf Flug 93 geschehen war, wusste er, dass man nicht automatisch zum Helden wurde, nur weil man versuchte, seine eigene Haut zu retten. Immerhin wollte jeder leben. Erst wenn man sein Leben riskierte, um einen anderen Menschen zu retten, wurde man zum Helden. Zumindest lief es üblicherweise so. Manchmal war man aber einfach nur ein Dummkopf. Er hatte auch schon gesehen, wie Männer ihr Leben wegwarfen, nur um zu beweisen, wie mutig sie waren.
Allerdings erinnerte man sich an einige berühmte Schlachten, weil die eine Seite durch ihren Mut einen übermächtigen Gegner besiegt hatte. Man denke nur an Picketts Charge bei Gettysburg, als die Konföderierten im Feuer der Unions-Armee den Cementery Hill eroberten. Auch wenn der Angriff katastrophale Verluste forderte, würde man sich immer an den Mut der Republikaner erinnern. Waren sie dadurch Helden oder Dummköpfe? Änderte sich etwas durch die Tatsache, dass sie gegen die Sklaverei kämpften?
Wells hatte keine Lust, mit Rich, dem Vertreter, über Heldentum zu diskutieren. »Aber sicher doch. Sie waren Helden. «
Sofort hob Rich sein Glas, um Wells zuzuprosten. »Salud. Hinunter damit. Wissen Sie, was verrückt ist?«
Ich wette, dass ich es gleich erfahre, dachte Wells. Sobald Rich den Cuervo hinuntergestürzt hatte, setzte er das Glas mit einem Knall auf der Bar ab. »Meine Ehe ist im Eimer.«
Wells versuchte, mitfühlend auszusehen.
»Meine Frau Barbara hat mich mit dem Dienstmädchen erwischt. Mit Consuelo. Sie ist stinksauer. Ich meine Barbara. Consuelo macht sich nicht viel draus.«
Verzweifelt suchte Wells nach einer geeigneten Antwort. Aber er fand keine. Während seiner Abwesenheit schien man in den USA viel mitteilsamer geworden zu sein. Er erinnerte sich noch dunkel an Fernseh-Talkshows wie Jerry Springer. Mittlerweile schien das gesamte Land zum Publikum für derartige Reality-Sendungen geworden zu sein. Wer erzählte einem Fremden, dass ihn seine
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