Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes

John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes

Titel: John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berenson
Vom Netzwerk:
Frau mit dem Dienstmädchen ertappt hatte?
    Den Blick unverwandt auf Wells gerichtet, fuhr Rich fort: »Barbara hätte überhaupt nicht zu Hause sein sollen. Als sie hereinkam, begann sie sofort zu schreien: ›Du Hurenbock …‹ < Sie hat tatsächlich geschrien …«
    Das war ’s jetzt mit der Höflichkeit, dachte Wells. »Haben Sie keine Würde?«, fragte er Rich, wobei er ihn mit einem Blick anstarrte, der schon Männer an wesentlich gefährlicheren Orten als diesem erstarren hatte lassen. »Wissen Sie überhaupt, was diese Worte bedeuten? Wie können Sie einem Mann, den Sie noch nie vorher gesehen haben, erzählen, dass Sie Ihre Frau betrogen haben und dabei auch noch erwischt worden sind? Ich kenne Sie nicht, und ich will Sie auch nicht kennen. Danke für die Cola.« Damit griff er nach seiner Tasche und wandte sich zum Gehen.
    »Sie verstehen einfach nicht«, entgegnete Rich. »Ich stehe unter großem Druck. Wissen Sie, was es heißt, genug verdienen zu müssen für zwei Häuser und drei Autos? Ich erinnere
mich nicht einmal mehr, wann ich das letzte Mal mit meiner Frau geschlafen habe. Ich wollte nur jemanden berühren. Mein Leben ist beschissen …«
    »Wissen Sie, was beschissen ist?«, erwiderte Wells. »Wenn Sie auf eine Landmine steigen und Ihnen die Beine weggerissen werden. Und wenn Sie dabei erst vier Jahre alt sind. Oder wenn Sie in einem Humvee nur darauf warten, von einer Bombe gegrillt zu werden, die Sie nicht einmal sehen, wie unsere Jungs in diesem Augenblick in Bagdad.«
    »Ich weiß …«
    »Sie wissen einen Dreck. Sie haben ja keine Ahnung. Sie können sich nicht einmal vorstellen, wie der Großteil der Menschen auf dieser Welt lebt. Und keiner von denen hat in seinem ganzen Leben so viel gejammert wie Sie in den letzten fünf Minuten. Lassen Sie sich von Ihrer Frau scheiden. Hören Sie auf, mit dem Dienstmädchen zu schlafen. Was geht es mich an?«
    »Woher wollen Sie denn wissen, wie hart es draußen in der Welt zugeht?«, schoss Rich zurück. »Sie sitzen doch auch nur vor dem Fernseher wie ich.«
    »Jetzt nicht mehr«, gab Wells zurück, während er für seine Cola eine Zehndollarnote auf die Bar warf und sich auf den Weg zu seinem Flugsteig machte.
     
    Wütend auf sich selbst saß Wells vor Flugsteig C-13. Was wäre gewesen, wenn ihm der Kerl einen Kinnhaken versetzt hätte? So viel zu seinem Vorsatz, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Allerdings verstand Wells seine Landsleute auch nicht mehr. Sie schulden mir ein Upgrade, hatte Rich gesagt. Nein, sie schulden dir gar nichts.
    Wells wusste, dass er sich entspannen sollte. Rich, der Vertreter, war ein Alkoholiker, der eine schlechte Ehe führte. Ob
er sein Leben wieder in den Griff bekam oder nicht, ging ihn nichts an. Während er sich in der hellen, sauberen Abflughalle umsah, fragte sich Wells, ob er je wieder nach Amerika gehören würde.
     
    Als er jedoch am nächsten Morgen in Boise aufwachte, fühlte er sich richtig beschwingt, denn er hätte es sich nicht träumen lassen, Montana und seine Mutter je wiederzusehen. Selbstverständlich hätte er direkt nach Missoula fliegen können, aber er zog es vor, allein durch die Rockies zu fahren. Wie gut er sich noch daran erinnerte, als er mit seinem Vater für ein Angel-Wochenende über den Lost Trail Pass gefahren war. Sie hatten Boise besucht, um die Hawks zu sehen, ein Class-A-Baseballteam der Unterliga, und hatten anschließend in einem Juwelierladen im Zentrum für seine Mutter ein Geschenk gekauft. »Verrate ihr nichts davon, es ist eine Überraschung«, hatte sein Vater gesagt.
    Sein Vater war Chirurg im Krankenhaus von Hamilton, südlich von Missoula, gewesen und seine Mutter Lehrerin. Wie Wells wusste, hatte sich sein Vater immer eine große Familie gewünscht. Doch da seine Mutter bei seiner Geburt beinahe gestorben wäre – sie lag einen ganzen Monat im Krankenhaus von Missoula –, und die Ärzte ihr sagten, dass sie nie wieder schwanger werden könne, waren sie zu dritt geblieben: Herbert, Mona und John.
    Seinem Vater hatte Wells immer großen Respekt entgegengebracht. Der ruppige, schweigsame Mann war für seine Fähigkeiten als Chirurg in ganz Westmontana bekannt. Zumeist verbrauchte Herbert all seine Energien im Operationssaal, sodass er sich zu Hause nur noch in den hochlehnigen Lederstuhl im Wohnzimmer setzte, an einem Glas Whiskey nippte und die Zeitung von Missoula las. Er war nie gemein
oder distanziert und jubelte Wells bei dessen Footballspielen zu.

Weitere Kostenlose Bücher