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John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes

John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes

Titel: John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berenson
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Allerdings gab es für ihn innerhalb und außerhalb des Operationssaals feste Regeln, von denen er erwartete, dass sie eingehalten wurden.
    Seine Mutter war ein ganz besonderer Mensch. Fast jedes Kind, das sie unterrichtete, verliebte sich in sie. Sie war groß, hübsch und lächelte immer. Als Ergebnis einer verrückten Liebesbeziehung war sie in Missoula aufgewachsen. Während Wells’ Großvater Andrew im Jahr 1936 als Marinematrose in Beirut Landausgang hatte, verliebte er sich in die Tochter eines libanesischen Händlers namens Noor. Irgendwie überzeugte er Noor – und ihre Familie –, dass sie zu ihm nach Montana gehörte. Noor war auch der Grund für Wells’ dunkles Haar und leicht gebräunte Hautfarbe. Durch sie hatte er schon lange vor seinem Religionsstudium in Dartmouth den Islam kennengelernt. Immerhin war er von seiner Herkunft her zu einem Viertel islamisch. Auch wenn Noor ihren Glauben aufgegeben hatte, als sie in die USA kam, hatte sie Wells genug gelehrt, um sein Interesse zu wecken.
    Während seiner Kindheit hatte er jedoch wenig Gelegenheit, den Islam aktiv zu erfahren. Zu dieser Zeit bestand Hamilton gerade einmal aus einigen Häuserblöcken. Er liebte es, in dieser Gegend aufzuwachsen, überall mit dem Fahrrad fahren zu können, den Umgang mit Pferden zu erlernen und ein Lagerfeuer zu entzünden. Als er in die Pubertät kam, änderte sich vieles. MTV kam auf, um ihm und seinen Freunden zu zeigen, welche Hinterwäldler sie doch waren. Viele Kinder verloren ihr Selbstbewusstsein und begannen, sich zu langweilen. Drogen fanden ihren Weg von Seattle über Spokane nach Missoula und bis zur Tankstelle am Highway 93 am Stadtrand. Er fürchtete, dass sich diese Zerstörung während seiner Abwesenheit verstärkt hatte.

    Als er von Boise aufbrach, hingen bereits Wolken in den Bergen. Dennoch entschloss er sich für die kürzeste Route nach Hause, die ihn auf der Idaho 21 durch die Berge führte. Er lenkte den Wagen in nordöstlicher Richtung durch die verstreuten Vororte von Boise, deren Gebäude auf der offenen Prärie dicht zusammengedrängt standen wie Kühe, die sich vor einem aufkommenden Sturm schützten. Dann bog die Straße nach Norden und kletterte entlang eines rasch strömenden Flusses zu den Wolken empor. Während die strauchartigen Gelbkiefern immer dichter wurden, begann es allmählich zu schneien. Sobald Wells den Mores-Creek-Pass in knapp 1900 Metern Seehöhe überquerte, wirbelte Nebel über die Straße. Auf den Hängen standen die Reste von toten Bäumen. Vor mehreren Jahrzehnten hatte ein gewaltiger Waldbrand die Region verwüstet, erinnerte sich Wells vage. Offenbar hatte sich die Vegetation bis heute kaum erholt. Schließlich wurde der Nebel so dicht, dass er nicht mehr unterscheiden konnte, wo die Straße aufhörte und die Hügel begannen. Auch wenn er sich im Allgemeinen nicht für abergläubisch hielt, hatte er plötzlich das Gefühl, durch eine Hölle zu fahren, und dass auf der anderen Seite nichts mehr so sein würde, wie es einmal war. Er war aber schon zu weit gefahren, um jetzt noch umzukehren. So ging er lediglich vom Gas, bis der Dodge nur noch in Zeitlupentempo den Berg nach Lowman hinunterkroch. Für eine Strecke von nicht einmal einhundert Kilometern hatte er vier Stunden benötigt.
    Hinter Lowman besserte sich das Wetter. Die Straße bog nach Osten und folgte dem Payette River durch ein von dichtem Tannenwald bedecktes Tal. Kopfschüttelnd dachte Wells an den Moment der Schwäche zurück. Seit wann beeinflusste das Wetter seine Stimmung? Im Süden durchschnitten
die Sawtooth Mountains die Wolken. Mit ihren wilden, zerklüfteten Spitzen erinnerten sie in unheimlicher Weise an, ja, an die Zähne einer Bogensäge. Wir hier im Westen nennen die Dinge beim Namen, dachte Wells. Ein Land, das so schön ist, muss nicht ausgeschmückt werden.
    Bei Stanley bog er auf die Idaho 75 ein, die entlang des Salmon River verlief. Sobald die Sonne die Wolken aufriss, erhellte sich der Tag. Die brüchigen roten Sandsteinhügel wurden von Bergen abgelöst, deren Hänge mit gelbem Strauchgras bedeckt waren, das im Licht goldfarben glühte. Neben der Straße warfen Angler in Watstiefeln Köder aus, in der Hoffnung auf eine Steelhead-Forelle. Wells fühlte, wie ihm das Herz schwoll. Seit er vor zehn Jahren in die CIA eingetreten war, hatte er sich nicht mehr so frei gefühlt. Beinahe hätte er angehalten und einen der Männer gebeten, ihm seine Leine für ein paar Minuten zu borgen.

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