John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
ihn der Junge annahm und er dann wieder verschwand? Was dann?
Als sie sah, dass er nickte, entspannte sie sich wieder.
»Was wirst du ihm erzählen?«
»Dass du Soldat bist. Dass du in einem Krieg kämpfst, den wir gewinnen müssen. Die Wahrheit.«
Als sie bei den letzten beiden Worten lächelte, fragte er sich, ob sie ihn immer noch liebte, auch wenn es keine Bedeutung mehr hatte. »Erinnerst du dich …«, begann sie, brach aber sofort ab, als das Telefon läutete. Sechsmal ertönte das Klingelsignal, ehe es aufhörte.
»Habt ihr keinen Anrufbeantworter?«, fragte Wells.
»Voice Mail.«
Mhm. Als er die USA verlassen hatte, war Voice Mail noch nicht so verbreitet gewesen. Ein bedeutungsloser Gedankensplitter lenkte ihn für einen Augenblick von diesem trostlosen Tag ab. »Was wolltest du mich vorhin fragen?«, erkundigte er sich.
Aber ihr Lächeln war bereits verschwunden. Da wusste er, dass sie es nicht mehr sagen würde. Das Telefon hatte sie
in ihr Leben zurückgeholt, und darin hatte sie keinen Platz für ihn.
»Du solltest jetzt gehen, John.«
Sein Blick schweifte noch einmal durch das Zimmer, um sich alles einzuprägen, damit er zumindest etwas von ihr hatte, an das er sich erinnern konnte. Plötzlich legte sie den Kopf zur Seite. Diese Eigenart kannte er an ihr nur allzu gut. »Warum bist du eigentlich nach Hause gekommen?«
»Was meinst du?«
»Du arbeitest doch immer noch für die CIA.« Das war keine Frage. Ob man sie gebeten oder aufgefordert hatte anzurufen, sobald sie ihn sah? »Also, warum bist du hier? Warum gerade jetzt?«
»Du weißt, dass ich nicht darüber sprechen darf.«
»Wissen sie überhaupt, dass du hier bist? In den USA?«
»Natürlich.«
Aber da er sie noch nie hatten belügen können, sah er ihr auch jetzt an, dass sie wusste, dass er jetzt log. Sie blickte ihn unsicher an. Wie gern hätte er ihr erklärt, warum er heute hier war, ohne eine einzige Person auf dieser Welt, der er vertrauen konnte. Stattdessen ging er wortlos zur Tür. Ehe er ins Freie treten konnte, hielt sie ihn am Arm zurück. Und als er sich umdrehte, umarmte sie ihn – diesmal richtig. Er schloss die Augen und erwiderte ihre Umarmung noch fester.
Dann ließ sie ihn los.
Sobald Wells in seinem gemieteten Dodge saß, versuchte er, sich das Bild seines Sohnes im Gedächtnis einzuprägen. Schließlich legte er den Gang ein und fuhr langsam zum YMCA. Aber als er den Sportplatz erreichte, erkannte er Evan nicht.
Heather sah ihm nach, während er losfuhr. Als der Dodge verschwunden war, zog sie eine Visitenkarte aus der Geldbörse, um einen Anruf zu tätigen, der die USA ein Stück näher an den verheerendsten Terroranschlag der Geschichte heranrücken sollte. Nachdem sie die Nummer gewählt hatte, läutete es zweimal.
»Ist dort Jennifer Exley?«, fragte Heather, worauf eine kurze Pause folgte. »Jennifer? Hier ist Heather Murray. … Ja. John Wells’ Exfrau.«
4
Um zwei Uhr morgens war die Ankunftshalle im Miami International Airport voll von übermüdeten Reisenden. Omar Khadri bemerkte zufrieden, dass er ausgezeichnet dazu passte. Alle hier besaßen seinen oder einen noch dunkleren Hautton. Mit der schwarzen Lederaktentasche – in der eine spanische Ausgabe von Don Quijote lag, damit sie mit seinem Pass übereinstimmte – stellte er sich in einer langen Schlange für Nicht-US-Amerikaner an.
Eine Stunde später wartete er immer noch. Währenddessen war die Schlange für Amerikaner flüssig weitergerückt. Khadri schäumte innerlich vor Wut. Ihr zeigt uns eure Ablehnung, noch bevor wir überhaupt ankommen, dachte er. Vielleicht würde man ihn augenblicklich an den Anfang der Schlange stellen, wenn er lauthals verkündete, wie glücklich er sei, die USA erreicht zu haben, dieses größte Geschenk Allahs im Universum. Schließlich stand er vor der Einwanderungsbeamtin, die erst einen kurzen Blick auf seinen Pass und dann auf ihn warf.
»Sind Sie aus geschäftlichen Gründen hier oder zum Vergnügen, Mr Navarro?«
»Aus geschäftlichen Gründen«, antwortete Khadri. Eindeutig geschäftlich.
»Wo werden Sie sich aufhalten?«
»In Miami.« Mit einem Abstecher nach Los Angeles.
»Wie lange bleiben Sie?«
»Zwei Wochen.«
Damit gab sie ihm seinen Pass zurück. »Jetzt brauche ich nur noch Ihre Fingerabdrücke und ein Foto, und schon sind Sie fertig.«
»Was brauchen Sie?«, fragte Khadri.
»Ihre Fingerabdrücke und ein Foto. Das wird standardmäßig gemacht.«
Khadri gefiel der Gedanke
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