John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
werden, um das kanadische Parlament zu überwachen. Eine wahrlich glorreiche Aufgabe. Deshalb schwieg sie, während Duto Frage auf Frage abfeuerte. Schließlich öffnete sich die Tür und Dutos Assistent kam herein und flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Ich bin gleich zurück«, erklärte Duto, während er hinausging.
Sobald Duto fort war, sah Wells zu Exley und Shafer hinüber. Wie gern hätte er gewusst, ob sie ihn ebenso hassten wie Duto. Aber er würde sie nicht in diesem Raum fragen, solange die Aufnahmebänder liefen und der Rechtsanwalt Notizen machte. Einerseits wollte er sie nicht kompromittieren, und andererseits war er nicht sicher, ob ihm die Antwort gefallen würde.
»John«, sagte Exley schließlich, wobei sie sich kurz vorbeugte.
Das war alles, was sie sagte. Aber es war genug. Augenblicklich fühlte Wells, wie sich eine Feder in ihm entspannte.
Als Duto wieder in den Raum kam, hielt er einen durchsichtigen Plastikbeutel für Beweisstücke in der Hand, der mit einem beschrifteten Aufkleber versehen war. »Was ist das?«, fragte er, während er den Beutel auf den Tisch knallte.
Wells’ Koran.
Sie hatten also sein Zimmer durchsucht. Selbstverständlich hatte er ihnen den Namen des Hotels genannt, in dem er in der Nacht zuvor eingecheckt hatte. »Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl gehabt, oder haben Sie die Tür aufgebrochen? «, erkundigte sich Wells ruhig.
Duto deutete auf das Buch.
»Ich bin Muslim«, erklärte Wells, »das ist mein Koran.«
Shafer ließ den Kopf in die Hände sinken.
»Sie sind Muslim?«, fragte Duto. »Wann ist denn das passiert? «
»John«, fiel Exley ein, »in Ihrer Akte steht, dass Sie Religion studiert …«
»Halten Sie den Mund, Jennifer«, fuhr Duto sie an, ohne den Blick von Wells abzuwenden. Dann beugte er sich über den Tisch und spie die Worte regelrecht aus: »Sie sind konvertiert? Wann?«
Wells gab Exley eine Sekunde Zeit, um sich zu verteidigen, aber sie ließ die Gelegenheit ungenützt. »Das ist nicht von einem Tag zum anderen passiert.«
»Sie geben also zu, Muslim zu sein?«
»Ja«, antwortete Wells ruhig. Er würde sich von diesem Mistkerl nicht dazu reizen lassen, seine Fassung zu verlieren. »Ich bekenne mich schuldig, Muslim zu sein.«
»Sie Idiot!«
»Sie können mich nennen, wie Sie wollen«, gab Wells gelassen zurück.
»Darauf können Sie sich, verdammt noch mal, verlassen.«
»Beruhigen Sie sich, Vinny«, fiel Shafer ein.
Duto sah zu Shafer hinüber, sagte jedoch nichts. Wells fragte sich, ob die beiden Männer die Show guter Cop/böser Cop für ihn abzogen.
»Erzählen Sie uns, was passiert ist«, forderte ihn Shafer auf.
»Sie wissen doch von meiner Großmutter«, begann Wells. »Um in die Camps aufgenommen zu werden, behauptete ich, gläubiger Muslim zu sein. Aber je besser ich den Islam kennenlernte, umso mehr fühlte ich mich von ihm angezogen.«
»So sind Sie konvertiert?«
Müdigkeit und Leere überfielen Wells, so wie ihn am Grab seiner Mutter ein Gefühl grenzenloser Leere überkommen hatte. Aber an diesem Tisch würde er keine Schwäche zeigen. Dass sein Glaube mittlerweile schwankte, würde er Duto gewiss nicht erzählen. »Ich bin konvertiert, oder ich wurde aufgenommen. Wie auch immer man es nennen will. Der Islam ist ganzheitlicher als das Christentum – er ist nicht bloß eine Religion, sondern eine Lebensweise.«
»Ja, nur dass Ihre Lebensweise weder Freiheit noch Demokratie kennt«, fiel Duto ein.
»Die Türkei ist eine Demokratie«, gab Wells zurück.
»Nicht, wenn man Ihre Männer gewähren lässt.«
»Ich hasse diese Männer ebenso wie Sie«, sagte Wells. »Sie haben den Koran verdreht. Aber auch das Christentum ist nicht perfekt. Warum töten wir nicht alle und überlassen es Gott, sich seine Leute auszusuchen. Wissen Sie, woher dieser Ausspruch stammt?«
»Klären Sie mich auf, Sie Allwissender.«
»Vor achthundert Jahren griff eine katholische Arme die christliche Sekte der Katharer in der französischen Stadt Béziers an. Aber die Armee hatte ein Problem. In Béziers lebten neben den Katharern auch Katholiken. Deshalb fragten die Soldaten den Abt, der sie befehligte: ›Was sollen wir tun, wenn wir in die Stadt hineingelangen? Wie sollen wir unsere Katholiken von den Katharern unterscheiden?‹ Wissen Sie, was der Abt antwortete?«
»Fahren Sie einfach fort«, knurrte Duto mit gerötetem Gesicht.
»Er sagte: ›Tötet alle. Der Herr wird die Seinigen schon erkennen.‹«
»Gut, und jetzt
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