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John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes

John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes

Titel: John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berenson
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heimlichen Laster, und rollte die müden Schultern, um die Muskeln zu lockern. Sein Hemd war durch und durch verschwitzt, aber die Arbeit machte ihm nichts aus. Im Verlauf der Monate, die er nun schon hämmerte und grub, hatte er die Muskeln zurückgewonnen, die er in der Nordwestprovinz verloren hatte.
    »Wollt ihr auch?«, fragte er die Guatemalteken, während er ihnen den Karton mit Hühnerkeulen entgegenstreckte.
    Einer der Männer griff nach dem Karton, hielt aber dann inne.
    »Es ist schon in Ordnung, wirklich!«, versicherte ihm Wells.
    Schließlich nahm der Mann eine Keule. »Gracias.«
    »Quien es tu nombre?«
    » Eduardo. Tú?«
    »Jesse.«
    »Arbeitest du jeden Tag?«
    »Sí«, antwortete Wells.
    »Aber du bist weiß.«
    »Sieht ganz so aus«, gab Wells zurück. Einen Augenblick lang schien es, als würde Eduardo zu lächeln beginnen, doch dann war es auch schon wieder vorüber.
    »Und du bist nicht von der inmigración?«
    »Nein.«
    Verwirrt versuchte Eduardo zu begreifen, warum ein norteamericano gezwungen sein sollte, mit ihnen zu arbeiten.
Wells hatte derartige Gespräche schon Dutzende Male geführt. Üblicherweise brachen sie hier ab. Diese Männer respektierten das Privatleben anderer. Außerdem sprachen nur die wenigsten gut genug Englisch, um weiter fragen zu können. Auch Eduardo aß seine Hühnerkeule schweigend zu Ende.
    »Gracias«, sagte er schließlich, ehe er sich wieder den anderen Guatemalteken zuwandte.
    An der Mauer lehnend, betrachtete Wells die breiten, großen Häuser rundum mit den angebauten Garagen für drei bis vier Autos. Jedes dieser Häuser verfügte vermutlich über fünfzehn Zimmer. Und das für eine einzige Familie. Erstaunlich, dachte er. Wer hier lebte, musste glücklich sein, oder sollte zumindest glücklich sein.
     
    Als sie um fünf Uhr die Arbeit beendeten, hingen bereits dicke Wolken am Himmel, die ein schweres Sommergewitter ankündigten. »Will noch jemand eine Zigarette?«, fragte Kyle, während er auf den LKW zuging. Dann sprang er plötzlich hinein und fuhr los. »Bis später, ihr faulen Säcke«, rief er zurück, ehe er verschwand. Die Guatemalteken verfolgten den LKW, bis er auf die Mount Vernon einbog.
    »Maricón«, brüllte Eduardo die leere Straße hinunter. »Verdammter Hurensohn.«
    So etwas war Wells schon einmal passiert. Die meisten Auftraggeber hielten Wort, entweder weil sie ehrlich waren oder weil sie wussten, dass es sich herumsprechen würde, wenn sie ihre Vereinbarungen nicht einhielten. Aber einige waren echte Schweine. Am liebsten hätte Wells ein Fenster dieser schicken Häuser mit einem Stein eingeworfen. Aber aus Rache könnte Dale mit den Cops am Kermex-Parkplatz auftauchen, und das wollte niemand riskieren. Schon gar
nicht Wells. So schleuderte er nur den Karton mit den Hühnerresten auf den Rasen. Vielleicht lockte er ja Waschbären an.
    Während sie die Mount Vernon mehrere Kilometer entlangwanderten, verwandelte sich der strömende Regen in ein echtes Gewitter. Wells zwang sich, bei Eduardo und den anderen zu bleiben, obwohl er fürchtete, dass sie ein Polizist aufgreifen könnte. Sandy Springs gehörte zu den reichsten Vororten von Atlanta, und die hiesige Polizei hatte nicht viel übrig für braunhäutige Männer, die die Straße entlanggingen. Über weite Strecken hatte die Straße weder Bankette noch Bürgersteige, sodass sie zweimal gezwungen waren, ins Gestrüpp zu springen, um sich vor einem vorüberbrausenden Geländewagen zu retten.
    Schließlich erreichten sie die I-285, wo sie endlos lang auf einen Bus warteten. Von nun an würde Wells zu derartigen Jobs immer zwanzig Dollar und sein Mobiltelefon mitnehmen, um ein Taxi zu rufen, falls er nochmals irgendwo zurückgelassen würde. Auch wenn er schon oft genug mehr gefroren und gehungert hatte, war er noch nie zuvor so wütend gewesen. Von seinem eigenen Land hatte er mehr erwartet. Während die Guatemalteken miteinander plauderten, stieß Wells Eduardo an der Schulter an. »Sprichst du Englisch?«, fragte er ihn.
    »So gut wie du Spanisch«, antwortete Eduardo grinsend.
    »Dann kannst du mir vielleicht eine Frage beantworten. Gefällt es dir hier?«
    »Jeden Monat schicke ich meiner Familie siebenhundert Dollar. Davon bauen sie ein Haus in Escuintla, woher ich komme«, sagte Eduardo. »Sobald sie fertig sind, fahre ich nach Hause.«
    »Du willst also nicht hierbleiben?«

    »Möchtest du das wirklich wissen?«
    »Deshalb habe ich gefragt.«
    Eduardo sah Wells nachdenklich

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