John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
nett, wie du glaubst«, knurrte der Mann.
»O doch, ist sie schon«, rief Wells zurück. Er trank bereits sein zweites Bier und fühlte sich ein wenig benommen.
»Ich komme schon, Freddie.« Dann lehnte sie sich noch einmal zu Wells. »Er könnte sich ja selbst einschenken, aber dann trinkt er die ganze Flasche aus.«
»Das habe ich gehört …«
»Dann weißt du auch, dass es stimmt«, gab sie über die Schulter zu Freddie zurück. Rasch zwinkerte sie Wells noch einmal zu, ehe sie davonging. Während Wells einen Zug von
seinem Bier nahm, versuchte er, nicht auf ihren Hintern zu starren. Ohne Erfolg.
Vier Stunden später steuerte Wells seinen Ford auf den Parkplatz eines Billardlokals ein paar Hundert Meter vom Rusty Nail entfernt, wo die illegalen Einwanderer mexikanischen Fußball sahen und Budweiser für zwei Dollar tranken. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte ihm, dass sie mit ihrem Toyota-Pickup ebenfalls in den Parkplatz einbog.
Er wusste, dass er einen Fehler beging, und dass ihn der Kontakt zu dieser Frau – selbst wenn es nur für eine Nacht war – in Schwierigkeiten bringen konnte, die er nicht brauchte. Außerdem wusste er, dass Nicole, ungeachtet ihres Charmes, nur ein jämmerlicher Ersatz für Exley war. Aber im Augenblick machte ihm das nichts aus. Er brauchte eine Frau, und es war nun einmal die harte Wahrheit, dass er Exley vielleicht nie wiedersehen würde. Als er aus dem Augenwinkel auf seine Schulter sah, glaubte er einen Engel zu sehen, der in einer Rauchwolke verschwand.
Bei ihrem Eintritt begrüßte sie der Mann hinter dem Tresen mit einem halb freundlichen Nicken. Abgesehen von einem Film hin und wieder, war Poolbillard Wells einziges Vergnügen; er war schon zweimal zuvor hier gewesen.
»Wir schließen in einer Stunde.«
»Da bleibt mir nicht viel Zeit, dich gehörig in den Hintern zu treten«, sagte Nicole. »Also los!«
Zu seiner Überraschung machte sie keinen Scherz. Nach einem schlechten Start – sie verlor das erste Spiel – gewann sie die nächsten beiden und hätte auch das dritte glatt gewonnen, wenn sie nicht die Acht gestreift hätte. »Ich hätte wissen sollen, dass eine Bardame gut spielt«, sagte er, während er
beobachtete, wie sie mit einem weichen Stoß eine Kugel in der Seitentasche versenkte.
»Gefällt es dir nicht, von einer Frau besiegt zu werden?«
»Du hast mich noch nicht besiegt. Es steht zwei zu zwei.«
Nachdem sie einen Stoß über zwei Banden knapp verfehlt hatte, schlenderte sie um den Tisch zu ihm hinüber. Selbst nach ein paar Drinks ging sie immer noch leichtfüßig. »Du bist ein seltsamer Kerl«, sagte sie. »Erst gibst du vor, dass es dir nichts ausmacht, aber in Wirklichkeit hasst du es zu verlieren. «
»Das ist wahr«, stimmte er mit einem Schulterzucken zu.
»Und du beobachtest alles. Du hörst nie auf, alles zu beobachten. Wonach hältst du Ausschau, Jesse?«
Trotz all der Jahre, die Wells allein verbracht hatte, kannte er die richtige Antwort auf diese Frage. »Nach dir.«
Sie lachte. »Das hat etwas zu lang gedauert. Du bist wie ein Roboter, der beinahe menschlich ist, aber eben nur beinahe. Wie der Terminator.«
Plötzlich fühlte sich Wells, als wäre er zu einem billigen Seelenklempner gegangen, der ihm nicht nur verkündet hätte, dass er sterben würde, sondern auch noch die genaue Uhrzeit, den Ort und die Art und Weise. Wenn sie wüsste, wie recht sie hatte. Um sein Unbehagen zu tarnen, lachte er spröde. »Das war aber nicht nett«, sagte er, während er sich über den Tisch beugte, um den nächsten Stoß zu begutachten. Sie glitt hinter ihn und legte ihm die Arme auf seine. Wells konnte sie riechen, den Whiskey und die Zigaretten. Als er sich zu ihr umdrehte, um sie zu küssen, zog sie den Mund weg. Für einen Augenblick vergaß er sie vollkommen und dachte an Exley, wie sie in einem schmutzigen Keller in Oakland auf dem Billardtisch lag. Dann war er wieder zurück.
»Nein, ich werde dir helfen. Stell dich ein wenig näher an den Tisch«, sagte sie. »Konzentrier dich und betrachte den Winkel.« Wieder lachte sie. »Ich hasse es, wenn Männer mit mir diese Show abziehen und mich am Tisch von hinten packen. Deshalb verliere ich immer das erste Spiel, um zu sehen, ob sie es versuchen.«
»Küss mich«, forderte Wells sie auf.
»Wenn dir dieser Stoß gelingt, werde ich dich küssen.«
Er verfehlte die Kugel bei weitem. »Ich hätte das fünfte Bier nicht trinken sollen.«
»So wirst du nie ein echter
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