John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
gebügelter grüner Uniform aus dem Van und winkte ihn zu sich.
»Sprechen Sie Chinesisch?« Mit vorgeschobenem Kinn und unfreundlichem quadratischem Gesicht sah er zu Wells empor.
»Nein, Sir.«
»Natürlich nicht. Erste Reise nach China?«
»Ja.«
»Warum kommen Sie jetzt?«
»Morgen beginnt eine Computerkonferenz. Ich werde versuchen, einige Programmierer anzuwerben …«
Der Offizier hob die Hand. Genug. »Wie lange bleiben Sie?«
»Fünf Tage.«
»Machen Sie irgendetwas für die USA auf dieser Reise?«
»Ich verstehe nicht.«
»Sie verstehen nicht? Ich frage, ob Ihnen irgendjemand in Amerika gesagt hat, dass Sie berichten sollen, was Sie hier sehen«, sagte der Soldat. »Militärische Vorbereitungen.«
Wells hob abwehrend die Hände. »Nein, nein. Ich bin Geschäftsmann.«
»Wenn jemand das getan hat, sollten Sie es jetzt sagen. Wir stecken Sie in ein Flugzeug und schicken Sie nach Hause.«
»Nein, nichts Dergleichen.«
»Das ist eine schlechte Zeit für Amerikaner in China«, sagte der Oberst. »Seien Sie vorsichtig. Wenn wir Sie in der Nähe einer Militärbasis erwischen …« Er ließ die Drohung
in der Luft hängen, gab Wells den Pass zurück und winkte das Taxi durch.
Eine Minute später schritt Wells durch die hohen Glastüren des Hotels und fühlte sich erneut überwältigt. Eine riesige Vase mit Orchideen und Tulpen stand in der Nähe der Eingangstür auf einem Marmortisch und erfüllte die Lobby mit ihrem Duft. Die Luft war kühl und ruhig und die Portiere flink und effizient. An der Rezeption tauschte der Empfangschef seine Zimmerreservierung ohne Aufpreis gegen eine Suite um, weil das Hotel aufgrund vieler Absagen nahezu leer sei, wie er lächelnd erklärte.
Schließlich lag Wells mit hinter dem Kopf gefalteten Händen auf dem Bett und sah sich auf dem stumm geschalteten Flachbildschirm die Nachrichten von CNN International an, die in der Laufleiste am unteren Bildrand wieder und wieder von der »Chinakrise« berichteten und dazu Bildmaterial von F-14 zeigten, die von einem Flugzeugträger abhoben. Die Korrespondenten gaben ihr Bestes, um neue Berichte zusammenzustellen, auch wenn sich seit Wells’ Abreise aus San Francisco wenig verändert hatte.
Nach der Kollision der Decatur mit dem Fischkutter, bei der dieser gesunken war, hatte China von den USA gefordert, ihre Schiffe zumindest eintausend Kilometer weit von der chinesischen Küste zurückzuziehen. Die Chinesen hatten zudem gedroht, eine Blockade über Taiwan zu verhängen und ihre Reserven an ausländischen Währungen in der Höhe von drei Billionen auf den Markt zu werfen, wodurch der Wert des Dollars in den Keller sinken würde und die USA in eine Rezession stürzen würden. Als Reaktion beharrten die USA darauf, dass China seine Unterstützung für den Iran aufgab und seine Drohungen gegenüber Taiwan
zurücknahm. Bevor dies nicht geschehen wäre, würden sie nicht einmal über einen Rückzug nachdenken. Die USA warnten China zudem, »nicht mit der Weltwirtschaft zu spielen«. Der Untergang des Fischkutters sei ein Unfall gewesen, der keine größere Krise hervorrufen solle, sagte das Weiße Haus.
Als Wells die Augen schloss, hörte er, wie die dicken Hotelfenster rasselten, als Kampfjets in der Ferne grollend vorüberjagten. Vermutlich hatten Exley und Shafer recht. Er hätte nicht herkommen sollen. Er sollte sich mit einem Mann treffen, den er noch nie zuvor gesehen oder gesprochen hatte und der vielleicht schon als Doppelagent fungierte. Außerdem war der Notfallplan, der ihn hierher geführt hatte, ein Jahrzehnt alt und niemand hatte je erwartet, dass er in die Tat umgesetzt würde. Im besten Fall glich diese Reise einer Dreitageswanderung im März durch unberührtes Gelände, jedoch ohne Rucksack und auch ohne Kompass. Wenn alles gut ging, konnte man mit Erfrierungen und einem leeren Magen davonkommen. Aber für Fehler gab es keinen Platz. Sollte Cao Se tatsächlich ein Doppelagent sein und sollten die Chinesen wissen, dass Wells kam, war er bereits so gut wie tot.
Seine Anweisungen für das Treffen waren einfach. Da Cao Se nicht wusste, wie er aussah und ihn nicht erreichen konnte, würde er nach einem Verfahren vorgehen, das die Agency 2-F-Protokoll nannte: Fixer Ort und fixe Zeit. Wells würde am vereinbarten Treffpunkt auftauchen und die Anweisung jener Person befolgen, die er dort vorfand. Im Idealfall würde ihn Cao Se erwarten. Es war jedoch wahrscheinlicher, dass ihn ein Kurier, die Polizei oder
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