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John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes

John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes

Titel: John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berenson
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Hotel bleiben«, sagte der Empfangschef.
    »Und auf meine einzige Gelegenheit verzichten, Peking zu sehen?«
     
    »Wohin, Sir?«
    »Zum Tiananmen-Platz.«
    Der Portier des St. Regis sah unglücklich aus. »Keine Wagen zum Tiananmen-Platz heute, Sir.«
    »Dann so nahe, wie der Fahrer herankommen kann. Ich will die Verbotene Stadt sehen« – den ehemaligen chinesischen Kaiserpalast nördlich des Tiananmen-Platzes. »Die Verbotene Stadt ist doch offen, nicht wahr?« Zumindest sollte sie offen sein, dachte Wells. Denn dort sollte er sich mit Cao Se treffen.
    »Ja.« Der Portier winkte ein Taxi heran. Doch auch nachdem er Wells’ Trinkgeld entgegengenommen hatte, verschwand sein besorgter Blick nicht.
    Wells war keineswegs überrascht, dass der Taxifahrer den knappen Haarschnitt eines Soldaten trug. Jeder, der an diesem Tag das St. Regis verließ, wurde überwacht. Er musste davon ausgehen, dass Cao Se in seinen Plänen diese Überwachung berücksichtigt hatte. Wenn er sich allzu sehr bemühte, seine Verfolger abzuschütteln, würde er erst recht ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wenn er sie jedoch scheinbar unbeabsichtigt loswerden konnte, würde er es tun.
    »Was sagen Sie zu diesen Problemen?«, fragte Wells den Taxifahrer. »Ich glaube, wir werden sie schon noch lösen. In zwei Jahren wird es so aussehen, als wäre nichts passiert.«
Jim Wilson war Optimist. Wells hingegen war nicht so sicher.
    »Kein Englisch.«
    »Oh. Nicht viele Chinesen sprechen Englisch. Das habe ich schon bemerkt. Natürlich spreche ich auch kein Chinesisch. Das ist dasselbe. Dabei sagen alle, es sei die Sprache der Zukunft.« Der Taxifahrer zuckte nur die Schultern.
    Als sie sich dem Tiananmen-Platz näherten, verlangsamte sich der Verkehr bis zum endgültigen Stillstand. Vor ihnen war die Straße blockiert, und die Polizei leitete die Autos von der Avenue weg. Rund um sie ging ein beständiger Strom von Chinesen zu Fuß nach Westen. Wells sah seine Chance. Er steckte dem Fahrer eine Hundert-Yuan-Note in die Hand und sprang aus dem Wagen, ohne sich um die aufgeregten Worte des Fahrers zu kümmern.
    Wells drängte sich durch den Verkehr, durch die Ruß ausstoßenden Lastkraftwagen, die voll gepackten Minibusse und die schwarz schimmernden Mercedes-Limousinen, die auf der breiten Avenue eingeklemmt waren. Er schloss sich den Chinesen an, die auf dem Bürgersteig nach Westen strebten, und folgte dem menschlichen Strom in Richtung des Tiananmen-Platzes. Als er einen Blick zum Taxi zurückwarf, sah er, dass der Fahrer ein Funkgerät an den Mund hielt. Zweifellos rief er andere Agenten auf, Wells’ Überwachung zu übernehmen. In dieser Menschenmenge würde das keine leichte Aufgabe sein. Die meisten Männer waren in derselben heiteren Stimmung, die er schon gestern gefühlt hatte. Sie schwenkten chinesische Flaggen und schienen nichts dagegen zu haben, dass Wells mitten unter ihnen war. Zwei Männer wechselten sich immer wieder mit einer Kamera ab, machten Schnappschüsse und hielten die Hände zu einem Victory-Zeichen hoch. Aus seinen Jahren in
Afghanistan wusste er, dass unter den falschen Bedingungen innerhalb von Sekunden aus dieser Menge ein rasender Mob werden konnte.
    Irgendjemand zupfte ihn am Ellbogen. »Amerikaner?« Ein großer Mann in einem ausgefransten blauen Sweatshirt deutete wütend mit dem Finger auf ihn.
    »Kanada«, sagte Wells. Es gab keinen Grund, hier einen Tumult auszulösen. Er ging heute schon genug Risiken ein. Der Fragesteller wurde weitergedrängt und von der Menge geschluckt. Nach der nächsten Kreuzung war die Straße leer. Die Männer drängten auf die Bürgersteige. Die Polizei, die rund um Streifenwagen und Gefangenentransporter Aufstellung genommen hatte, hielt nach Tumulten Ausschau, griff aber nicht in den Strom ein.
    Weiter vorn parkte eine Reihe von Fernsehübertragungswagen eng nebeneinander. Die chinesischen Sender erkannte Wells nicht, dafür jedoch CNN, Fox, BBC und NHK. Die Welt sieht zu. In der Nähe der Übertragungswagen hatte sich eine Einheit von Soldaten versammelt, etwa in der Stärke einer Kompanie, um die Reporter zu schützen, vielleicht aber auch, um sie einzuschüchtern. Für den Durchschnittschinesen – und auch ihre Anführer – musste dieser Augenblick sowohl spannend als auch furchterregend sein, dachte Wells. Jede Person in dieser Menschenmenge war sowohl Zuseher als auch Teilnehmer an dieser Aktion. Sie wollten die Welt und sich selbst an eine Tatsache erinnern, die man nur allzu

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