John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
einsetzte, fühlte er, wie Sungs platte Nase unter seiner Faust brach. »Dafür haben wir keine Zeit.«
Als Sung nun sprach, waren seine Worte so leise, dass sich Kang mit dem Ohr dicht über ihn lehnen musste. »Er hat keine Ahnung. Er glaubt, dass sie wissen wollten, wohin wir fahren, wo wir uns mit unseren Helfern treffen.«
»Warum hast du uns nicht gewarnt?«, fragte Beck nun Sung direkt auf Koreanisch. Auch wenn die Nordkoreaner Sung gezwungen hatten, die CIA um sofortige Rettung zu bitten, hätte er einen anderen Code senden können, durch den die Leute von der CIA gewusst hätten, dass er unter Druck stand.
»Ich hatte keine Wahl.«
»Natürlich hattest du eine Wahl«, gab Beck zurück.
Sung murmelte einige Worte zu Kang. »Er will uns etwas zeigen. Er sagt, dass du dafür aufstehen musst«, erklärte Kang.
Sobald Beck aufgestanden war, streifte der Nordkoreaner seine Nylonsporthose ab. Darunter trug er keine Unterwäsche,
sondern eine Art medizinischen Verband im Schritt, der mit schwärzlich rotem Blut getränkt war.
Sung hob den Verband ab.
»Himmel«, entfuhr es Beck.
»O mein Gott.«
Sungs Penis und Hoden waren entfernt worden, sodass nur ein grobes Loch im Schritt zurückgeblieben war, das mit derben schwarzen Nähten zusammengezogen worden war. Aus der Wunde ragte ein Plastikkatheder heraus, aus dem rötlich gefärbter Urin auf den Kabinenboden tropfte.
»Zum Teufel. Das sind Tiere.«
Tränen liefen Sung über die Wangen und vermischten sich mit dem Blut, das ihm aus der Nase rann. Im blauen Fahrtlicht der Kabine ergab dies eine grauenhaft violette Kombination. Selten zuvor war Beck so froh gewesen über die kleine Glaskapsel in seiner Tasche. So vorsichtig wie möglich, zog er Sungs Trainingshose hoch. Mit bebenden Schultern sprach Sung weiter.
»Er sagt, sie hätten ihm prophezeit, dass er auf jeden Fall sterben würde«, sagte Kang. »Weil er Kim Jong Il verraten habe. Aber sie sagten auch, dass sie dasselbe, was sie ihm angetan haben, auch seinen Söhnen und seinem Vater antun würden, wenn er uns warnt.«
»Sag ihm, dass er nicht sterben wird. Wir werden nicht zulassen, dass er stirbt. Selbst wenn er es will.«
Nachdem Beck den Transceiver ins Meer geworfen hatte, hatten die Nordkoreaner zumindest vorübergehend ihre Spur verloren. Die Radarübertragung von der Hawkeye zeigte, dass die Su-25 und die Hubschrauber zwei Kreise um den Transceiver gezogen hatten. Daraufhin hatten sie schnell ihren Irrtum erkannt und die Suche ausgeweitet.
In der Zwischenzeit hatte Choe den Kurs des Schnellbootes auf einhundertfünfundsechzig Grad Südsüdost abgeändert, sodass sie in flachem Winkel auf Südkorea zusteuerten. Mit beiden Motoren hätten sie innerhalb von zwanzig Minuten internationales Gewässer erreicht. So stand ihnen eine mehrstündige Fahrt bevor. Dennoch war Beck bereit zu glauben, dass sie das Schlimmste hinter sich hatten. Mit jeder Minute, die verstrich, kamen sie der sicheren Zone näher.
Zitternd und zusammengekrümmt lag Sung an der Wand und hielt eine Hand schützend über seine Wunde. Beck hätte ihm gern weitere Fragen gestellt, aber offenbar war dies nicht der geeignete Zeitpunkt dafür. Wie es aussah, verfiel er gerade in einen Schockzustand. Beck griff nach der Erste-Hilfe-Ausrüstung, fischte eine Flasche mit vierzig Milligram OxyContin heraus und schüttelte erst eine und dann eine zweite gelbe Pille in Sungs Hand. Mit hoffnungslosem Achselzucken warf sich der Nordkoreaner die Pillen in den Mund und schluckte sie. Was auch immer du mir gibst und was auch immer es mit mir anstellt, ich nehme es, sagten seine Augen.
Fünf Minuten verstrichen und dann nochmals fünf Minuten, ehe Sung mit einem Seufzer die Augen schloss. Beck hoffte, dass ihn das Oxy bewusstlos gemacht oder zumindest seine Schmerzen gedämpft hatte. Aus der Radarübertragung der Hawkeye ging hervor, dass sich die Hubschrauber und die Su-25 getrennt hatten und nun auf der Suche nach dem Schnellboot in südlicher und westlicher Richtung über dem Meer kreisten. Durch die zerschossenen Fenster an der Rückseite der Kabine sah Beck, dass einer der Hubschrauber im Norden lange Diagonalen flog, wobei sein Scheinwerfer auf die leeren schwarzen Wellen gerichtet
war. Wir können entkommen, dachte Beck. Trotz des defekten Motors und allem anderen. Wir können es wirklich schaffen.
Dann …
Ping, ping, ping!
Die Schallwellen, die in rascher Dreierfolge vom Rumpf des Schnellbootes abprallten, ließen die
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