John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
hinab.
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Noch bevor das Schnellboot in den Fluten versank, verbreitete sich schon die Nachricht von seiner Zerstörung.
Selbstverständlich wussten die Nordkoreaner als Erste davon. Die Sonar-Operatoren an Bord der Nampo, jenem U-Boot, das den Torpedo abgefeuert hatte, erfassten die Explosion augenblicklich. Nachdem sie die Nachricht an ihre Kommandanten gefunkt hatten, tuckerte das U-Boot auf das Wrack zu, um nach Überlebenden zu suchen. Aber es fand kein Leben mehr. Nur eine Öllache und einige Trümmer vom Rumpf des Schnellbootes.
Der Torpedo hatte das Phantom-Schnellboot um 00:08 Uhr zerfetzt. Um 00:25 Uhr erreichte die Nachricht von seinem Untergang das militärische Hauptquartier von Nordkorea in Pjöngjang, ein heruntergekommenes Betongebäude voll von Flugabwehrgeschützen und Raketen. Fünf Minuten später erhielt Kim Jong Il, der schwammige Gnom, der Nordkorea regierte, den Bericht vom Untergang des Phantom-Schnellbootes in seinem Palast in Pjöngjang. Er feierte dieses Ereignis mit einem Glass Johnnie Walker Blue, seinem Lieblingsscotch. Er hatte den Verrat persönlich genommen, denn er wusste, dass sein Überleben von dem Atomwaffenarsenal abhing, das er so sorgfältig angesammelt hatte. Kim hatte Sungs Verhaftung beaufsichtigt und persönlich seine Kastration angeordnet, als Lektion für jeden,
der versuchen sollte, ihn zu verraten. Kim bedauerte keinen Augenblick lang, was er getan hatte. Das Wort Bedauern hatte keinen Platz in seinem Wortschatz. Loyalität hingegen war ein Begriff, den er nur allzu gut verstand. Die Tatsache, dass ein Boot gekommen war, um Sung abzuholen, ließ keinen Zweifel mehr am Verrat des Mannes. Sein Tod war nur eine gerechte Strafe.
Jetzt musste Kim jemanden anrufen – den Mann, der ihn über den Verrat informiert hatte. Auch wenn es ihm nicht behagte, von den Chinesen abhängig zu sein, weil sie ihn und seine Leute als Pfand gegen die USA verwendeten, konnte er nicht leugnen, dass sie sich diesmal als wertvoll erwiesen hatten.
Washington erfuhr kurz darauf vom Untergang des Phantom-Schnellbootes. Um 00:08:02 Uhr Lokalzeit verschwand das Boot vom Bildschirm der E-2 Hawkeye. Augenblicklich schickte das Flugzeug eine Nachricht an die Sonar-Operatoren der USS Decatur – des Zerstörers, den die Navy im Gelben Meer in Alarmbereitschaft versetzt hatte -, um sie aufzufordern, auf Druckwellen zu achten, die eine Explosion signalisieren könnten.
Die Decatur musste nicht lange warten. Die Explosion des Alligator-Torpedos hatte eine Druckwelle erzeugt, die sich mit einer Meile pro Sekunde im Wasser ausbreitete und den Zerstörer in weniger als einer Minute erreichte. Da die Sonar-Operatoren an Bord der Decatur üblicherweise superleise sowjetische U-Boote aufzuspüren versuchten, klang die Druckwelle für ihre trainierten Ohren wie ein Schrei.
Die Dekatur sandte die Nachricht von der Explosion an die Kommandozentrale auf der USS Ronald Reagan, einem Flugzeugträger, der durch die Korea-Straße fuhr. Die Reagan
schickte die Botschaft an die Osan Air Base. Von dort ging sie an das Büro der CIA in Seoul. Einige Minuten später berichtete die südkoreanische Küstenwache von Inch’on, dass zwei Containerschiffer ein Feuer im Gelben Meer gesichtet hatten.
Dies war der Augenblick, in dem Bob Harbag, der Leiter des Büros in Seoul, beschloss, dass er Langley anrufen musste. Er schickte eine codierte Botschaft der höchsten Prioritätsstufe mit der Meldung ab, dass das Phantom-Schnellboot vermisst wurde und vermutlich zerstört worden war. Auch wenn die Agency das Schnellboot nicht gerettet hatte, hatte sie doch gute Arbeit geleistet, indem sie zugesehen hatte, wie das Boot unterging.
Nun war nur noch die Frage offen, ob es Ted Beck und seinen Männern irgendwie gelungen war, vom Boot zu entkommen. Vier Chinook-Hubschrauber stiegen von der Osan Air Base auf, um nach Signalen der Transponder zu suchen, die Beck, Kang und Choe getragen hatten. Zusätzlich schickte man eine Predator-Drohne los, um den Ort der Explosion zu fotografieren. Aber weder die Hubschrauber noch die Drohne entdeckten etwas. Während die Stunden verstrichen, mussten die Mannschaft der Decatur, die Hubschrauberbesatzungen und die Spione in Virginia die Wahrheit akzeptieren, dass die Männer auf dem Phantom-Schnellboot verloren waren.
Auf der Decatur und in Osana endete damit die Mission. In Langley hingegen warf der Untergang des Schnellbootes neue, drängende Fragen auf.
In dieser Nacht gingen Wells
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