John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
ist nur Ihre überschäumende Fantasie. Jetzt, wo der Abend allmählich unterhaltsam wird, erzähle ich Ihnen, warum wir hier sind.« Während der nächsten halben Stunde informierte Tyson sie über die Mission des Phantom-Schnellbootes und ihr Scheitern.
»Das heißt, sie wussten davon?«, erkundigte sich Exley, nachdem er geendet hatte.
»Zweifellos.«
»Und wir hatten keinen Hinweis darauf, dass es Schwierigkeiten geben könnte, bevor Sung um Abholung ersucht hat?«
»Nein. Wir haben ihn vor acht Monaten in Pakistan getroffen und ihm damals angeboten, ihn herauszuholen. Aber er sagte, dass er weiterarbeiten wolle. Er war gerade befördert worden. Übrigens ist dies ein weiterer Grund, warum ich glaube, dass die Sache von außen gesteuert wurde. Kim Jong Il mag zwar verrückt sein, aber er hat nicht genügend gute Wissenschaftler, um sie grundlos auszuschalten.«
»Außerdem hinterlassen Spionageabwehrermittlungen
immer eine Spur«, sagte Shafer. »Wie sehr man sich auch bemüht, man kann einen Verdächtigen nicht beobachten, ohne dass er es merkt.«
»Vielleicht sieht er, wie jemand in seinem Büro herumstöbert«, sagte Tyson, »oder wir hängen ihm etwas vor die Nase, und er fragt sich, warum er plötzlich Zugang bekommt. Maulwürfe haben einen geradezu gespenstischen Sinn dafür, wann sie beobachtet werden.«
»Da erzählen Sie mir nichts Neues«, sagte Wells, der sich an die Jahre erinnerte, die er in den Bergen zugebracht hatte. Jeden Tag hatte er sich gefragt, wann die Al-Quaida und die Taliban ihn als amerikanischen Agenten aufdecken würden.
»Deshalb vermute ich, dass Sung es gewusst hätte, wenn jemand hinter ihm her war«, sagte Tyson. »Stattdessen hat er sich so wohl gefühlt wie eine Termite auf dem Holzplatz, bis zu dem Tag, an dem er uns sagte, dass wir ihn herausholen sollen.«
»Könnten Sie den letzten Teil auf Englisch wiederholen?«, forderte ihn Wells auf.
»Vergessen Sie das Südstaatenzeug, dann haben Sie die Fakten«, sagte Shafer. »Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Nordkoreaner von außen einen Tipp bekommen haben.«
»Vielleicht haben sie ihn mit geheimen Unterlagen erwischt«, meinte Exley.
»Dafür war er zu vorsichtig«, sagte Tyson. »Seine Informationen kamen entweder über Kurzwelle oder von Angesicht zu Angesicht.«
»Wie wichtig war dieser Kerl?«, erkundigte sich Wells.
»Er war unsere wichtigste menschliche Informationsquelle.«
»In Nordkorea?«
Tyson seufzte. »Überall. Er hat uns gesagt, wo sie ihre Atomraketen verstecken. Und fragen Sie mich nicht, wo, denn ich weiß es nicht. Nicht einmal Duto weiß es.«
»Dann waren es vielleicht gar nicht die Nordkoreaner.« Wells hob das Budweiser an die Lippen und nahm einen Schluck von der kühlen, herben Flüssigkeit.
»Wie meinen Sie das?«
»Vielleicht bekamen sie einen Tipp von einem feindlichen Geheimdienst, von jemandem, der uns schwer treffen wollte und wusste, dass ihm das auf diese Weise gelingen würde.«
»Das ergibt einen Sinn«, sagte Shafer. »Jemand erfährt davon, bewahrt die Information auf, holt sie jetzt hervor und gibt sie an die Nordkoreaner weiter, weil er weiß, dass er uns damit ziemlich durcheinanderschütteln kann.«
»Ich verstehe, Ellis«, meinte Tyson gereizt, während er das Bier an die Lippen hob, um einen winzigen Schluck zu kosten.
»Gar nicht so schlecht, richtig, Mr Tyson?«, fragte Wells.
»Ich wünschte, ich könnte Ja sagen. Sehen Sie zu, dass es ein gutes Zuhause bekommt.« Damit gab er Wells die Papiertüte zurück.
»Warum erzählen Sie uns das alles?«, erkundigte sich Exley.
»Vorerst unternehme ich die üblichen Schritte«, sagte Tyson. »Meine Leute untersuchen, wer Zugang zur Identität des Verfassers hatte, oder zu den Informationen, die er uns geliefert hat. Außerdem suchen wir nach ungewöhnlichen Reisemustern aller Officer der Nordkorea-Einheit.«
»Da müssen Sie aber viele Personen überprüfen«, sagte Shafer.
»Und es ist kein Geheimnis, dass diese Untersuchungen alles andere als ausgezeichnet sein werden.«
»Die Spionageabwehr bekommt eben nicht das beste Material«, stimmte Wells zu. »Anwesende ausgeschlossen.«
»Leider kann ich nicht widersprechen. Es ist wesentlich aufregender, Leiter des Büros in Tokio zu sein, als in Langley über Bankkonten zu sitzen. Und jeder, der auch nur ein Quäntchen Hirn hat, kann sich ausrechnen, dass man sich keine Freunde macht, wenn man die Loyalität seiner Kollegen infrage stellt – vor allem
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