John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
die Frau, die sie einmal gewesen war, das hübsche Mädchen, das ihn in die National Gallery geführt und ihm ihre Lieblingsgemälde gezeigt hatte. Seine Loyalität hielt ihn jedoch nicht davon ab, seine Nächte im Nexus Gold Club zu verbringen. Und sein Narzissmus war so ausgeprägt, dass er sich nie fragte, ob sie ohne ihn glücklicher wäre.
Er goss sich ein Glas Wein aus der halb vollen Flasche ein und betrachtete seine Frau. Sie schenkte ihm ein süßes, angesäuseltes Lächeln. Das war die beschwipste, glückliche Janice, die der betrunkenen, traurigen Janice bei Weitem vorzuziehen war. Er nippte an seinem Wein, dessen weiche Glut das Brennen des Whiskeys besänftigte, und schnitt sich ein Stück Braten ab, das er unter dem Tisch heimlich Lenny gab. Plötzlich schämte er sich für seinen Scherz mit der Smith & Wesson im Keller.
»Das schmeckt herrlich.« Er kaute das Fleisch kräftig, trank dazu seinen Wein und füllte ihr und sein Glas erneut, bis die Flasche leer war. Warum auch nicht? Im Keller standen noch einige Kartons davon. Janice gefiel es gar nicht, wenn ihr etwas ausging, und er ähnelte ihr offenbar in dieser Sache.
»Nicht zu lange gebraten?«
»Kein bisschen. Und du siehst heute großartig aus, Liebling.« Er versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass sie noch um einiges besser aussehen würde, wenn sie die
zwanzig Kilo wieder los wäre, die sie seit Marks Tod zugenommen hatte. Früher war sie wirklich wunderhübsch gewesen. Heute war ihr Bauch so weich wie ihr Gehirn. Sie hatten immer noch gelegentlich Sex, aber vorwiegend um der alten Zeiten willen.
»Wie war die Arbeit?«
»Großartig«, sagte er ehrlich, denn er dachte an die fünfundsiebzigtausend Dollar, die ihm die Chinesen in den Schoß geworfen hatten. Von dort, wo dieses Geld herkam, würde sicher noch mehr herkommen. Die Chinesen hatten aus dem Verkauf von all dem Spielzeug und den Computerchips Geld wie Heu. China war die Zukunft. Die guten alten USA hatten ausgedient. Es war immer gut, auf die Zukunft zu setzen. Auf seine Weise half er, das Handelsdefizit auszugleichen.
Auf jeden Fall hatte er sein Spiel gut gespielt. Er hatte ihnen nie zu viel auf einmal zukommen lassen, sodass sie immer noch Hunger auf mehr hatten. Geheimnisse sparsam weiterzugeben, hatte jedoch nicht nur mit Gier zu tun – sondern war auch reiner Selbstschutz. Mitte der Achtzigerjahre hatte Aldrich Ames, der schlimmste Verräter in der Geschichte der CIA, nahezu über Nacht dem KGB fast alle sowjetischen Topspione der Agency preisgegeben und dann in Todesangst zugesehen, wie die Sowjets alle verhafteten.
»Ihr sorgt noch dafür, dass man auch mich verhaftet!«, hatte sich Ames bei seinen Kontaktleuten beschwert. »Warum stellt ihr nicht vor der Agency ein riesiges Neonschild mit der Aufschrift ›Maulwurf‹ auf?« Eddie hatte nicht denselben Fehler begangen und beabsichtigte, es auch nicht in Zukunft zu tun.
Er trank einen Schluck Wein und lächelte seiner Frau zu. »Ja, Gleeson« – sein stets in khakifarbene Kleidung gehüllter,
unendlich törichter Boss – »hat gemeint, dass ich für eine Beförderung infrage komme.« Im Gegensatz zu vielem, was er Janice sonst erzählte, sagte er diesmal die Wahrheit.
»Nun … das ist großartig. Ich vermute, du darfst mir keine Einzelheiten darüber erzählen.« Sie lächelte wie ein kleines Mädchen, das entgegen aller Wahrscheinlichkeit hoffte, zum Geburtstag ein Pony zu bekommen.
»Es wäre ein Transfer innerhalb von Ostasien. Mehr Verantwortung, mehr Spionageabwehrarbeit.«
Vermutlich wollte ihn Joe Gleeson einfach loswerden. Aber das war dem Maulwurf egal. Wenn die Beförderung durchging, würde er Leiter der Spionageabwehr für ganz Ostasien werden und hätte Zugang zu jeder Operation von Tokio bis Tibet. Mehr interessante Details für die Chinesen, und mehr Bonuszahlungen für ihn.
»Spionageabwehr.«
»Du weißt schon, Spion gegen Spion, und all das Zeug. Ihre Jungs finden, bevor sie unsere finden.«
»Würden wir auch reisen?« Janice klammerte sich an die lächerliche Hoffnung, dass er noch einmal einen Auslandsjob bekäme. Dies war aus zwei Gründen lächerlich: Zum einen hatte sie selbst in einem Vorort von Virginia ihr Leben kaum im Griff, und zum anderen würde ihn die Agency eher auf den Mars schicken, bevor sie ihn noch einmal an die Front schickte.
»Vielleicht ein wenig, aber ich wäre in Langley stationiert.«
»Nun, das klingt nett.« Sie trank den Rest ihres Weines und goss aus
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