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John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes

John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes

Titel: John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berenson
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ergaben. Sie sagten, die Wirtschaft brauche mehr Reformen, nicht weniger.
    Aber Li verbrachte mehr Zeit außerhalb von Zhongnanhai
als all die anderen hochrangigen Führer zusammen. Auch wenn er kein Wirtschaftsfachmann war, besaß er Augen. Er sah alte Frauen, die mit gesenktem Kopf um Hilfe bettelten. Ihre Kleidung war schmutzig und die Schüssel in ihren Händen leer. Er sah Bauern, die auf dem Tiananmen-Platz Schlange standen, um Arbeit zu finden, obwohl sie die Polizei schlug, nur weil sie dort waren.
    Vor eintausendzweihundertfünfzig Jahren hatte der Dichter Du Fu geschrieben: »Hinter den roten Toren der Vornehmen verderben Wein und Fleisch, während die Armen am Wegrand vor Kälte sterben.« Dynastien wurden gestürzt, sobald die Herrscher ihre Ziele aus den Augen verloren. Im Inneren von Zhongnanhai war das Leben angenehmer als je zuvor. Die Männer rund um ihn nahmen an, dass sie im Notfall wieder lediglich die Panzer auffahren lassen mussten. Aber diesmal würden nicht die Studenten rebellieren. Diesmal würden Bergarbeiter, Bauern und Fabrikarbeiter rebellieren. Sie würden es mit Männern zu tun haben, nicht mit kleinen Jungs, und diesmal würden sie kämpfen.
    Li würde nicht zulassen, dass dies geschah. Er würde die Volksbefreiungsarmee – seine Armee – gegen die Zivilisten einsetzen. Er würde die Lage unter Kontrolle bringen, aber selbstverständlich nicht zu seinem eigenen Ruhm, sondern um die Nation vor der Gier ihrer Herrscher zu retten.
     
    Allerdings würde es nicht einfach sein, die Kontrolle zu übernehmen. Li durfte Zhang Fenshang, den Wirtschaftsminister und mächtigsten Mann im Ständigen Ausschuss, nicht offen herausfordern. Angeblich war Zhang nach Generalsekretär Xu Xilan der Zweithöchste innerhalb der Führungsriege. In Wirklichkeit war er der mächtigste Mann in China. Xu war zweiundachtzig Jahre alt und schwach, ein
Aushängeschild, das Zhang vor jeder wichtigen Entscheidung »konsultierte«.
    Gemeinsam mit den anderen Liberalen – Li knirschte mit den Zähnen, wenn er nur an das Wort dachte – nahm Zhang sechs der neun Sitze im Ausschuss ein. Um diese Männer zu besiegen, musste Li sie überlisten. Wenn es ihm gelang, die Kontrolle über den Ausschuss zu übernehmen, würde sich das Volk um ihn scharen. Vielleicht protestierten die reichen Unternehmer in Schanghai. Aber irgendwann würden auch sie verstehen, dass Li sie nicht vernichten wollte, sondern lediglich von ihnen forderte, ein wenig von ihrem Reichtum zu teilen.
    Li wusste, dass er nur eine Chance haben würde, die Macht zu übernehmen. Wenn er versagte, würde er nicht nur seinen Sitz im Ständigen Ausschuss verlieren. Im besten Fall würde er seine restlichen Jahre unter Hausarrest verbringen. Im schlimmsten Fall würde er einen tragischen Unfall erleiden, und sein Tod würde dem Volk mit traurigem Tonfall bekannt gegeben werden.
    Nein, er konnte nicht versagen. Allerdings musste er schnell handeln, bevor das Volk so wütend wurde, dass nicht einmal er es würde beschwichtigen können. In den letzten Monaten hatte er sich einen Plan zurechtgelegt. Und jetzt, nach seinem Besuch im Iran, glaubte er, den Schlüssel gefunden zu haben, mit dessen Hilfe sein Plan funktionieren würde.
    »Jede militärische Operation basiert auf Täuschung«, hatte Sun Tsu, der berühmteste Militärstratege Chinas, vor zweitausendfünfhundert Jahren geschrieben. Unter normalen Umständen könnte Zhang Li leicht schlagen. Aber was, wenn Zhang plötzlich mit einer Bedrohung konfrontiert wurde, die sich seiner Kontrolle entzog, einer Bedrohung,
die nicht von innen kam, sondern von außerhalb Chinas? Li wusste, dass sein Plan gefährlich war. Aber nicht zu handeln wäre noch gefährlicher.
     
    Nach dem Dessert – einem köstlichen Birnenkuchen mit Ingwereis – wurden die Teller abgeräumt, und die Kellner gossen Cognac ein. Danach verschwanden sie und überließen die neun Männer am Tisch den Geschäften des Landes.
    Zhang, der neben dem Generalsekretär Xu saß, hob sein Glas. »Auf den Ruhm des neuen Chinas.«
    »Und auf das Volk«, sagte Xu. »Auf die Weisheit des chinesischen Volkes.«
    »Selbstverständlich, Genosse Xu«, erwiderte Zhang. »Wir müssen immer dem Volk dienen.«
    Li nahm einen Schluck aus seinem Cognacschwenker. Er fühlte, wie die goldene Flüssigkeit in seinem Mund glühte. Cognac war eine seiner Schwächen. Ein Glas vor dem Zubettgehen versüßte ihm den Schlaf.
    Der Ständige Ausschuss traf sich einmal pro Monat

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