John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
zu diesen Banketten. Das Abendessen folgte immer demselben Drehbuch. Erst wenn die Kellner den Festsaal verlassen hatten, begannen die Geschäfte. Selbstverständlich traf sich der Ausschuss mehrmals wöchentlich zu regelmäßigen Sitzungen, aber die wirklich wichtigen Entscheidungen wurden an diesem Tisch getroffen – ohne Sekretäre, die zuhörten oder die Sitzungen protokollierten. Selbst hier, wo sie nur miteinander sprachen, wählten die Ausschussmitglieder ihre Worte so sorgfältig wie Mafiabosse in einer Telefonleitung, die vom FBI angezapft wurde. Zu deutliche Worte galten als Zeichen von Schwäche, nicht Stärke.
»Genosse Zhang, bitte beginnen Sie«, sagte Xu.
»Die wirtschaftliche Situation hat sich nicht verändert«,
berichtete Zhang. »Die Übergangsperiode« – so bezeichneten die Liberalen das verlangsamte Wirtschaftswachstum – »hält an. Aber es gibt keinen Grund zur Sorge. Der Wille des Volkes ist ausgezeichnet, und die Wirtschaftsbedingungen sind gut.«
Dasselbe hatte Zhang schon vor einem Monat gesagt und auch im Monat davor. Li fragte sich, wie viel Zhang aus der Staatskasse gestohlen und auf Banken in Singapur versteckt hatte. Wie viel an Bestechungsgeldern hatte er angenommen? Fünfhundert Millionen Yuan – sechzig Millionen Dollar? Eine Milliarde Yuan? Zwei Milliarden? Mit Geld bist du ein Drache, ohne Geld bist du ein Wurm.
»Wo liegt dann das Problem?«, erkundigte sich Xu.
»Generalsekretär«, begann Zhang, »so wie ein Bauer von Zeit zu Zeit ein Feld brach liegen lassen muss, muss das Wirtschaftswachstum sich gelegentlich verringern, ehe es wieder steigt.« Obwohl Zhang den Großteil seines Lebens in Schanghai zugebracht hatte, verwendete er im Gespräch mit Xu gern Metaphern aus der Landwirtschaft, weil Xus Eltern Bauern gewesen waren. »Wir schneiden das Dürrholz, damit die jungen Bäume wachsen können. Wenn die jungen Bäume nicht schnell genug wachsen, müssen wir stärker zurückschneiden.«
Den Männern rund um den Tisch war klar, worauf Zhang abzielte. Die Regierung sollte weitere staatliche Fabriken schließen, wie die Reifenfabrik, in der Lis Vater gearbeitet hatte. Li konnte nicht glauben, dass Zhang die Frechheit besaß, weitere Stilllegungen vorzuschlagen, wo es bereits so viele Arbeitslose gab. Aber eine offene Auseinandersetzung mit Zhang wäre sinnlos.
»Ja«, sagte Xu, »ich verstehe.«
»Ich werde dem Kongress nächsten Monat einen Plan
vorschlagen« – dies bezog sich auf den jährlichen Parteikongress der Kommunisten, der offiziell den Entscheidungen zustimmen würde, die diese neun Männer trafen.
»Hat sonst noch jemand etwas zu Genosse Zhangs Ansichten zu sagen?«, fragte Xu. Li schwieg. Dann wandte sich Xu an ihn.
»Genosse General Li. Wie war Ihr Besuch in Teheran?«
Jetzt oder nie, dachte Li. »Sehr produktiv, Generalsekretär.« Er umriss das Geschäft, das Öl gegen Hilfe bei der Atomwaffenentwicklung beinhaltete und über das er mit dem iranischen Präsidenten gesprochen hatte. Wie Li erwartet hatte, kam diese Mitteilung für Zhang überraschend.
»Zhang, was sagen Sie dazu?«, erkundigte sich Xu.
Zhang nippte an seinem Cognac, um Zeit zu gewinnen. Li konnte sich seine Überlegungen gut vorstellen. Eine offene Allianz gegen die USA wäre mit enormen Risiken verbunden. Andererseits würde ihm eine Konfrontation mit den USA die nötige Zeit schenken, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Und Zhang wollte keinesfalls den Anschein erwecken, als fürchtete er die USA.
Zhang sah zu Li hinüber. »Was ist Ihre Ansicht, Genosse General?«
Zhang hoffte, die Verantwortung für die Entscheidung Li zurückzugeben. Mit diesem Schachzug war Zhang Li in die Falle gegangen. Zhang hatte noch nie zuvor die Kontrolle für eine wichtige Entscheidung abgegeben. Er würde erkennen müssen, dass es wesentlich schwerer war als erwartet, die Kontrolle wiederzugewinnen, dachte Li.
»Meine Ansicht, Genosse Zhang?«, sagte Li. »Wir sollten die Gelegenheit ergreifen. Die Iraner können unsere Position gegenüber den Hegemonisten« – den Amerikanern – »stärken. Unsere Industrien werden von der garantierten
Ölversorgung profitieren. Und die Perser werden für uns ein neuer Absatzmarkt werden. Sie sehen, was wir erreicht haben, und können uns während der Übergangsperiode beistehen. Warum sollten wir es außerdem den Amerikanern überlassen, zu entscheiden, wer bestimmte Waffen besitzt« – Atombomben. »Die Perser bedrohen uns nicht.«
»Und die
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