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John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes

John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes

Titel: John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berenson
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Verteidigungsminister Li Ping ab. Im Gegensatz zu den anderen rauchte er nicht. Alkohol konnte er nicht vermeiden, denn es wäre unhöflich gewesen, einen Toast auszulassen. Aber während die anderen den Inhalt ihrer Gläser hinunterstürzten, nippte er nur an seinem Wein.
    Die anderen acht Männer hatten alle einen Bauch. Li hingegen war schlank, dank seines Trainings. In Bezug auf seinen Körper war er keineswegs bescheiden. Er forderte sogar Armeeoffiziere heraus, die halb so alt waren wie er, und grinste, wenn er sie beim Training hinter sich ließ. »Nur das fette Schwein fühlt das Messer des Metzgers«, sagte er dann zu ihnen.
    Die anderen Mitglieder des Ausschusses bezeichneten ihn als »Old Bull«, wobei die Betonung auf »Old« lag, als wenig subtiler Hinweis darauf, dass er sich seinem Alter gemäß verhalten solle. Li war das einerlei. Durch das Training blieb er stark. Außerdem wollte er sich von den anderen Männern am Tisch unterscheiden, deren Körper ebenso verweichlicht waren wie ihr Geist.
    In der Welt außerhalb von Zhongnanhai galt Li als »Konservativer« und »Hardliner«. Er kannte seinen Ruf, denn auch wenn er selbst nicht Englisch lesen konnte, erhielt er
von seinen Assistenten jeden Morgen Übersetzungen von CNN und verschiedenen ausländischen Zeitungen. Die Ausländer verstanden weder ihn noch China. Er war kein Konservativer, und er wollte gewiss den Prozess der vergangenen zwei Jahrzehnte nicht zurückdrehen. Im Gegensatz zu den »Liberalen«, die in der Partei das Sagen hatten, ging es ihm nicht einmal darum, reich zu werden. Seine Ziele lagen tiefer.
    Chinas Elite bestand vorwiegend aus Technokraten, Ingenieuren und Wirtschaftlern, die ihr Leben damit verbrachten, die Wünsche der Partei zu erfüllen. Sie stiegen langsam auf, indem sie Dörfer, Städte und Provinzen leiteten. Auf ihrem Weg bewiesen sie ihren Vorgesetzten ihre Loyalität, während sie eine eigene Machtbasis errichteten. Li war einem anderen Weg gefolgt. Er war durch die Armee aufgestiegen und der einzige echte Soldat in der Topriege der Partei.
    Li hatte mit Auszeichnung in Chinas letztem großem Krieg gedient, der Invasion in Vietnam im Februar 1979. Als junger Hauptmann hatte er eine Kompanie befehligt, die zu den ersten Einheiten jenseits der Grenze gehörte. Der Krieg schien in der blutigen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht einmal als Fußnote auf, aber Li hatte ihn nie vergessen.
    Die Vietnamesen hatten gewusst, dass die Chinesen kamen. Ihre Soldaten und Landwehren waren gestählt von einem Jahrzehnt Krieg gegen die USA. China schickte eine gewaltige Armee von mehreren Hunderttausend Mann. Aber die Soldaten waren schlecht ausgerüstet und ausgebildet. Diese Armee bestand nur aus Bauern, die man mit wenigen Wochen Training über die Grenze geschickt hatte. Einige waren kaum imstande, ihre Gewehre zu laden.

    Lis Kompanie war in der Vorhut einer Division, die Lao Cai angriff, eine Stadt unmittelbar südlich der Grenze. Seine Einheit geriet unter ständigen Beschuss durch vietnamesische Miliztruppen. Der Boden war weich und schwammig, und überall lagen Minen. Die Vietnamesen verwendeten gern einfache Sprengkörper, die die Amerikaner als »Zehenkracher« bezeichneten. Diese Druckminen besaßen gerade genug Sprengkraft, um einem Menschen den Fuß wegzureißen. Um die Lage zu verschlimmern, war Lis einziger Sanitäter in den ersten Stunden des Kampfes von einem Scharfschützen ausgeschaltet worden. Danach musste er Verletzte liegen lassen, wo sie lagen. Sich um Verwundete zu kümmern, war ein Luxus, den sich die chinesische Armee nicht leisten konnte.
    In den ersten beiden Tagen hatte er fünfzig Mann verloren, ein Drittel seiner Soldaten. Aber irgendwie gelang es ihm und Cao Se, seinem ersten Leutnant, seine Kompanie zusammenzuhalten, auch als rund um sie die anderen Einheiten zerfielen. Als sich für die Volksbefreiungsarmee bereits eine verheerende Niederlage abzeichnete, schickte sie auch schwere Artillerie ins Feld. Die großen Kanonen überraschten die Vietnamesen und legten die Städte in der Nähe der Grenze in Trümmer. Als Lis Einheit humpelnd nach Lao Cai kam, waren nur noch Hunde und Amputierte zurückgeblieben.
    Drei Wochen später zogen sich die Chinesen über die Grenze zurück und erklärten die Invasion zum Erfolg. Sie hätten Vietnam eine Lektion erteilt, sagten sie. Doch auch Li hatte einige Lektionen gelernt. Zunächst hatte ihn das Leid seiner Männer erschüttert. Im Verlauf der

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