John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
gut.«
»Sind Sie verrückt, Ellis? Haben Sie vergessen, was gerade in diesem Augenblick passiert? Jetzt, während Sie mit hängender Zunge in meinem Büro stehen, als wären Sie aus der Sesamstraße entkommen?«
»Selbstverständlich weiß ich das. Er wird es überstehen, Jennifer. Das haben Sie doch selbst gesagt. Er ist dazu geboren.«
»Er steckt in Schwierigkeiten. Ich weiß es.« Sie wusste es tatsächlich, obwohl sie weder an außersinnliche Wahrnehmungen, noch an Astrologie, noch an anderen Voodoo-Kram glaubte. Trotzdem wusste sie, dass Wells in diesem Augenblick in Schwierigkeiten steckte, in wirklich schlimmen Schwierigkeiten.
»Sie sind bloß nervös.«
»Und Sie sind nur ein Bürokrat, dessen Vorstellung von
einem Leben an der Grenze mit extrawürziger Tacosauce gipfelt. Sie haben keine Ahnung, wie es ist, eine Waffe in der Hand zu halten und die anderen zu töten, bevor sie Sie töten.« Aber ich weiß es, hätte Exley beinahe gesagt. Ich habe es zwar nur einmal getan, aber einmal war genug.
»Jennifer …«
»Also behandeln Sie mich nicht von oben herab, Ellis. Ja, ich bin nervös. Und bis ich nicht von ihm gehört habe, wird sich daran auch nichts ändern. Können wir jetzt weiterarbeiten?«
Wortlos zog Shafer einen Stuhl heran. Gemeinsam gingen sie die Liste durch, auf die sich Exley bereits den ganzen Vormittag konzentrierte:
Streng geheim/Höchste Sicherheitsstufe/Epsilon Rot – Zugang Arbeitsgruppe – Update 2B
Abellin, Paul
Balmour, Victoria
Baluchi, Hala
Bright, Jerry
...
Die Liste enthielt all jene Personen, die den Namen des Verfassers kannten oder genügend Details über seine Identität, um ihn aufzudecken. Sie war nun schon dreiundfünfzig Namen lang und trotz ihrer Länge noch nicht an ihr Ende gekommen. Tyson hatte Exley und Shafer angekündigt, dass sie weitere Namen erwarten dürften, bevor das letzte Update hereinkomme.
Die Länge der Liste bewies Langleys vollkommen verkehrte Prioritäten, dachte Exley. Während die Agency die
Informationen eifersüchtig hütete, die der Verfasser ihr lieferte, ging sie mit an Fahrlässigkeit grenzender Sorglosigkeit mit seinem Namen um. Die Informationen waren wertvoll, die Informationsquelle wertlos.
Nach den wenigen Wochen, die Exley nun an diesem Fall arbeitete, hatte sie einiges an Respekt für Tysons Job hinzugewonnen. Selbst unter idealen Bedingungen, wenn die Agency einen Tipp zur genauen Identität eines Spions in ihren eigenen Reihen bekommen hatte, war Spionageabwehr eine schwierige Sache. Es genügte nicht, nachzuweisen, dass ein CIA-Angestellter ein verborgenes Einkommen hatte oder einen Lügendetektortest nicht bestanden hatte. Um einen bombensicheren Fall daraus zu machen, mussten Tysons Teams den Maulwurf bei der Übergabe geheimer Informationen an seinen Kontaktmann schnappen.
Während ihrer Untersuchung mussten sie auch sicherstellen, dass sie nicht falschen Fährten folgten, die ihnen ausländische Spionagedienste gelegt hatten. Während des Kalten Kriegs hatte der KGB Langley mehr als nur einmal in eine Sackgasse geschickt. Für Exley wurde es allmählich zu einer traurigen Wahrheit, dass sie ohne einen Tipp wohl kaum je herausfinden würden, wer den Verfasser verraten hatte. Bis zu diesem Augenblick hatten sie nicht einmal einen Verdächtigen. Und die Nordkoreaner hatten sichergestellt, dass ihnen der Verfasser selbst auch nicht mehr helfen könnte.
Bislang hatte Tysons Arbeitsgruppe grundlegende bürokratische Einzelheiten über jede der dreiundfünfzig Personen auf der Liste zusammengestellt: Datum der Einstellung, Punkteanzahl bei den Einstellungstests, Gehalt, Entwicklung und Bewertung der beruflichen Laufbahn, Ehe- und Familienstand, und … das möglicherweise wichtigste Detail – das Datum des letzten Lügendetektortests.
Keine Bankaufzeichnungen, denn dafür würden sie eine Vollmacht benötigen. Tysons Arbeitsgruppe hatte die Namen durch die Strafregisterdatenbank des FBI laufen lassen und auf Straftaten und Verurteilungen geprüft. Bei niemandem schien etwas Derartiges auf. Es gab nur zwei kleinere Ordnungswidrigkeiten in den Polizeiberichten von Virginia und Washington D. C. Edmund Cerys, ein Führungsoffizier, der in den Neunzigern in Hongkong im Einsatz gewesen war, war dabei erwischt worden, als er nach einem Spiel der Redskins in der Öffentlichkeit urinierte. Und Herb Dubroff, der stellvertretende Leiter der Ostasienabteilung war mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, weil er am
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