John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
die Flamme an die Pfeife hielten. Zeus. Ich bin Zeus.
»Topko ubeyte ego!«, brüllte der zweite Mann wieder. Das unverkennbare Klicken eines Magazins, das in eine Kalaschnikow geschoben wurde, hallte durch den Tunnel.
Am Ende des Tunnels leuchtete die Taschenlampe auf. Diesmal würden die Russen nicht blind schießen. Sie feuerten mehrere Salven ab. Ein Steinsplitter schnitt Wells Wange unterhalb des Auges auf, und warmes Blut strömte über sein Gesicht.
Aber jetzt konnte auch Wells zielen. Er feuerte zwei Schüsse aus der Makarov ab. Nach einem Aufschrei auf Russisch fiel die Taschenlampe zu Boden. Vermutlich waren sie nun verzweifelt genug, um ihm eine Granate entgegenzuschleudern. Bevor sie jedoch dazu Gelegenheit hatten, warf er die Blendgranaten durch den Tunnel. Während die Granaten davonrollten, barg er den Kopf in den Händen, schloss die Augen und zählte wie ein Kind, das in der Pause Verstecken spielte: »Eins, zwei, drei …«
Der Name Blendgranate wurde diesen Granaten nicht gerecht. Durch die zusammengepressten Lider sah Wells ein grellweißes Licht. Der Knall der Explosion war jedoch lauter als alles, was er je gehört hatte, etwas, das über Lärm hinausging. Eine Schockwelle schlug gegen seine Ohren. Obwohl er wusste, dass er sich nicht bewegte, weil er sich in dem engen Tunnel gar nicht bewegen konnte, hatte er das Gefühl, sich gleichzeitig in zwei Richtungen zu drehen. Die Männer brüllten auf Russisch, wobei ihre Stimmen über das Tosen in Wells’ Kopf hinweg kaum zu vernehmen waren.
Wells öffnete die Augen und atmete tief durch. Der schwere Thermitgeruch der Granaten brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Er musste schnell angreifen, bevor die Russen wieder zu Bewusstsein kamen. Die Männer
hatten die Taschenlampe erneut fallen gelassen, sodass Wells nun in der Dunkelheit auf Händen und Knien vorwärtskroch. Der Tunnel drehte sich um ihn. Er konzentrierte sich auf das Blut, das ihm über die Wange lief, ohne jedoch anzuhalten. Sein Magen verkrampfte sich und eine Welle der Übelkeit stieg in ihm hoch. Bevor er es zurückhalten konnte, brannten Gatorade und Cracker in seiner Kehle und strömten aus seinem Mund. Vor einer Mission achtete er immer darauf, nur leicht zu essen, und dies war der Grund dafür.
Wells hielt sich an der Tunnelwand fest. Irgendwie gelang es ihm, sich vorwärtszuschleppen. Stunden vergingen, vielleicht waren es auch nur Sekunden, bis sich die Wände um ihn öffneten. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte auf einen der Russen. Der Mann drehte sich stöhnend zur Seite, wobei er immer noch die Hände auf die Ohren presste. Vermutlich hatten ihm die Granaten das Trommelfell zerfetzt, dachte Wells. Während der Mann kraftlos nach ihm griff, steckte ihm Wells die Makarov in den Mund und drückte den Abzug. Der Arm des Russen zitterte und fiel. Ein letztes, hoffnungsloses Zucken.
Wells rollte von dem Leichnam herunter und lauschte in der Dunkelheit, während er wartete. Er vermutete, dass der Mann, den er getötet hatte, den Großteil der Blendgranaten abbekommen hatte. Der zweite Mann könnte noch imstande sein, sich zu bewegen, oder zumindest zu kriechen. Er wartete, lauschte, und …
Da.
In der Dunkelheit hörte Wells klar und deutlich, wie der Russe in unmittelbarer Nähe von ihm atmete, nicht mehr als drei Meter von ihm entfernt. Aber wo? Wells konnte seine Taschenlampe nicht einschalten, ohne dadurch seine Position
zu verraten. Der Russe steckte vermutlich im selben Dilemma. Lautlos huschte Wells wie eine Krabbe nach links, wobei er den Rücken immer der Wand der Höhle zuwendete und in der rechten Hand die Makarov hielt.
Schritt. Schritt.
Dann eine Salve aus einer Kalschnikow.
Aber Wells war unverletzt. Der Russe hatte nur die Leiche seines Kameraden getroffen. Wells stieß sich von der Wand der Höhle ab. Gleichzeitig drehte sich der Russe zu ihm um. Aber Wells schlug den Lauf seines Gewehrs hoch und zur Seite, während er dem Mann einen tiefen, bogenförmigen Tritt versetzte, der ihn von den Beinen riss. Der Russe stürzte schwer zu Boden. Wells sprang rittlings auf die Brust des Mannes und versetzte ihm mit der Linken einen sauberen Hieb auf das Kinn und einen weiteren auf die Nase. Augenblicklich wehrte sich der Russe. Aber obwohl er sehr muskulös war, bot er Wells nach einem dritten, vierten und fünften Hieb kaum noch Widerstand. Wells wusste nicht, ob er bloß die Orientierung verloren oder sich in sein Schicksal ergeben
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