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John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes

John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes

Titel: John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berenson
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lief das Wasser im Mund zusammen und das Loch in seinem Magen wuchs auf die Größe eines Basketballs an. Er sah sich um, konnte jedoch nirgendwo seinen Vater erblicken.
    Neben dem Topf lag eine Schöpfkelle, deren dünner Aluminiumgriff durch die jahrelange Verwendung verdreht war. Jordan langte danach. Warte, sagte seine Mutter. Er kommt zurück. Er steht direkt hinter dir. Als sich Jordan umdrehte, sah er seinen Vater. Purpurrote Tumore krochen über sein Gesicht. Der alte Mann hob die knöcherne Hand. Und obwohl Jordan wusste, dass er es nicht tun sollte, wollte er diesen verrottenden, sterbenden Mann davon abhalten, den Eintopf zu verunreinigen. Er stellte sich seinem Vater in den Weg und fuhr mit der Schöpfkelle in den Topf. Aber der Topf war leer bis auf einen winzigen Hühnerflügel. Während Jordan zusah, flatterte der Flügel wie eine letzte Beleidigung aus dem Topf.

    »Nein«, sagte er laut.
    Jordan öffnete die Augen und sah sich um. Der Eintopf – und ebenso seine armen, toten Eltern – verschwand, während er aufwachte. Nichts hatte sich geändert. Über den Stahlbeton-Highway über ihm rumpelten die Lastwagen. Die Morgenluft war heiß und schwül. Song und Yu schliefen unter einer dünnen Wolldecke, wobei Yu eine leere Red-Star-Flasche umklammerte.
    Der Eintopf war verschwunden, aber Jordans Hunger blieb, als er sich hochstemmte. An diesem Gefühl war nichts Metaphorisches. Jordan sehnte sich nicht nach Liebe, Umarmungen oder einem Pony. Er sehnte sich nach Nahrung. Jeden Tag und den ganzen Tag über schmerzte sein Bauch.
    Am Morgen, wenn es ihm gelang, eine halbe Scheibe altes Brot und eine Schale Tee zu verdienen, indem er für einen freundlichen Ladenbesitzer den Bürgersteig fegte, sank sein Verlangen auf ein leises Knurren, eine Art Hintergrundgeräusch ab. Aber an den Nachmittagen überwältigte ihn die Leere in seinem Bauch. Dann trank er Wasser und aß Gemüse, das schon mehr braun als grün war, alles nur um seinen Magen zu füllen. Auch die Zigaretten halfen, obwohl er wusste, dass er sie sich nicht leisten konnte. Ein Päckchen Zigaretten kostete so viel wie ein Sack Kartoffeln.
    Am schlimmsten waren die Stunden vor dem Einschlafen. Dann schmerzte sein Bauch so sehr, dass er am liebsten geweint hätte, was er jedoch nie tat. Er lächelte auch weiterhin, während Song und Yu Geschichten über Mädchen erzählten, die sie einst gekannt hatten. Über Bauernmädchen, die sich in der Dunkelheit aus dem Haus stahlen, um mit ihnen zu schlafen.
    »Einmal waren dieses Mädchen und ich bereit, du weißt schon …« Song grinste anzüglich, wobei er den Mund zu
einem zahnlosen Lächeln aufriss. »Ich schob ihr Kleid hoch und setzte sie auf den Boden, und sie schrie auf.« Song stöhnte. Es war eine ganz passable Imitation eines Mädchens im Teenageralter. »Wie sich herausstellte, war ihr Hintern in einem Haufen Pferdeäpfel gelandet. Ich hätte weitergemacht – immerhin war sie auch davor nicht besonders reinlich -, aber sie bestand darauf, dass ich sie nach Hause brachte. Dummes Ding. Wir hätten ein wenig Vergnügen haben können, und das findet man in dieser Welt ohnehin viel zu selten.«
    Song und Yu heulten vor Lachen, und auch Jordan musste lächeln. Er wusste nicht, ob die Geschichten wahr waren, aber das war ihm egal. Die Worte lenkten ihn ab. Song und Yu gaben ihm auch etwas zu essen, wenn sie etwas hatten. Ohne sie hätte er nicht gewusst, was er tun sollte. Er war sich nicht einmal sicher, warum sie ihn mochten. Vielleicht weil keiner der beiden einen Sohn hatte, und auch keine Tochter, und sie ihn als Ersatz betrachteten.
    Jeden Morgen quälte sich Jordan durch sein tägliches Training von einhundert Sit-ups und Liegestützen. Selbst mit leerem Magen ließ er seinen Morgensport nie aus – was Song und Yu stets amüsierte, die ihn »Arnud Schwarzenega« nannten. Allerdings rieten sie ihm etwas ernster, seine Kräfte zu schonen. Er verliere durch sein Training Energie, was er sich nicht leisten könne.
    Auch wenn er wusste, dass sie recht hatten, weigerte er sich, das Training aufzugeben. Er hatte einst gehört, dass sein großes Vorbild Michael Jordan auch dann noch trainiert hatte, wenn er sich kaum bewegen konnte. »Jeden Tag«, hatte Michael mit seinem berühmten Grinsen gesagt. Deshalb hielt Jordan an seinem Training fest. Ungeachtet seiner Schwierigkeiten hatte er es irgendwie geschafft, optimistisch
zu bleiben. Er hielt auch nie an, um sich nach dem Grund zu fragen. Im Gegensatz

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