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John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes

John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes

Titel: John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berenson
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zu den meisten Sechzehnjährigen in Amerika und Europa hatte er den Tod schon oft genug gesehen, um zu wissen, dass es bereits ein Privileg war, am Leben zu sein, auch wenn man dieses Leben irgendwann verlor. Solange er es hatte, würde er das Beste daraus machen, um seinen Vater und seine Mutter zu ehren.
    »Neunundneunzig … einhundert.« Nachdem Jordan seinen letzten Liegestütz beendet hatte, stand er auf.
    »Arnud … Arnud …«, feixte Song. »Eines Tages wirst auch du große Muskeln haben, Jiang.« Sie nannten ihn nicht Jordan, denn diesen Namen hatte er für sich behalten.
    »Kommen Sie, Master Song«, sagte Jordan. »Wir wollen gehen.«
    Song stemmte sich hoch und zog die Decke von Yu herunter. »Aufstehen, Fettsack. Keine Arbeit bedeutet, kein Red Star heute Abend.«
    Yu knurrte und warf die Decke zur Seite. Er war schmutzig, sein Sweatshirt fleckig und seine Hose ausgefranst. Jordan versuchte, nicht daran zu denken, was seine Mutter von seiner Lebensweise gehalten hätte. So arm sie auch gewesen waren, hatte sie immer darauf geachtet, ihn und ihr Zuhause sauber zu halten. Sie fegte täglich und hielt ihn dazu an, sich jeden Morgen zu waschen, und dies auch im Winter, wenn ihn das kalte Wasser wie Nadeln stach und sein Geschlechtsteil so zusammenschrumpfte, dass er es kaum noch sah. So gut er konnte, streifte er die Erde von seiner Kleidung ab. Wenn er heute Arbeit fand, würde er Seife kaufen, und vielleicht sogar eine kleine Flasche Shampoo. Er konnte kaum glauben, dass er sich nach etwas mehr sehnte als nach Nahrung. Aber er wollte sauber sein.
    Inzwischen zog er seine Glückskappe von den Bulls über
sein fettiges schwarzes Haar, und schon brachen sie auf. Song hatte von einer neuen Arbeitsmöglichkeit gehört. Ein Apartmenthaus im Zentrum sollte niedergerissen werden. Das gab viel Arbeit.
    Als sie den Eingang zur U-Bahn von Guangzhou erreichten, tauchte eben die Sonne auf. Weil sie kein Geld hatten, um ein Ticket zu kaufen, sprangen sie über das elektronische Drehkreuz. Wenn man sie erwischte, könnten sie die Bullen theoretisch verhaften. In der Praxis wurden sie jedoch nur bei der nächsten Station aus dem Zug geworfen. Die Polizei wollte mit ihnen nichts zu tun haben.
    Fünfzehn Minuten später erreichten sie ihre Haltestelle. Als Jordan die Treppe zur Straße hinaufstieg, fühlte er, wie seine Beine nachgaben. Die Welt um ihn wurde grau und er taumelte rückwärts. Song legte einen Arm um ihn und setzte ihn vorsichtig auf den Boden.
    »Jiang?«
    »Ich brauche nur eine Zigarette.«
    »Und ein gebratenes Schwein, so wie du aussiehst«, sagte Yu. Er suchte in seiner Tasche nach einer Münze. »Komm, Song, wir kaufen dem Jungen zumindest ein Stück Brot.«
    Als sie einen Händler fanden, bekam Jordan eine kleine reife Orange. Am liebsten hätte er die ganze Kugel auf einmal in den Mund gestopft. Stattdessen schälte er sie langsam und bot Song und Yu ebenfalls Orangenspalten an. Obwohl er wusste, dass er mit ihnen teilen sollte – immerhin hatten sie die Frucht für ihn gekauft -, fühlte er einen Stich bei jedem Stück, das er verschenkte. Der Händler beobachtete ihn, während er aß, und als er fertig war, gab er ihm eine weitere Orange und dazu noch eine Birne. Er winkte ab, als Song in seinen Taschen zu kramen begann, um die Früchte zu bezahlen. Üblicherweise widerstrebte es Jordan,
Almosen anzunehmen, aber heute war es ihm gleichgültig. Die Frucht füllte seinen Magen und schenkte ihm neue Energie.
    »Fühlst du dich jetzt besser?«
    Jordan nickte.
    »Dann sollten wir zusehen, dass wir diesen Job bekommen.« Sie gingen durch einen schmalen Fußgängerpfad, der zu beiden Seiten von Betonwohnblöcken gesäumt wurde. Einige Geschäfte hatten bereits geöffnet. In einem Metzgerladen verscheuchten Männer in schmutzigen Schürzen Fliegen und wischten Fleischstücke ab, die an Haken von der Decke hingen. Nebenan, in einem Laden mit Glasgefäßen voll von krümeligem grünem Tee, feilschten zwei Männer um einen mit Blättern gefüllten Plastiksack. Weiter vorn drang aus einer Bäckerei der Duft von honiggefüllten Klößen. Jordan zwang sich, an den Mehlspeisen vorbeizusehen, ehe er sein letztes Geld, die Notration in seiner Bulls-Kappe, dafür ausgab.
    Zwei Häuserblöcke weiter bogen sie links in eine belebte Avenue ein. Song betrachtete die Schilder. »Diese Richtung«, sagte er. Etwa ein Dutzend ebenso schmutziger Männer trabte in dieselbe Richtung. Sie wendeten sich nochmals nach rechts,

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