John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
Personen. In Peking verhängte die Partei eine nächtliche Ausgangssperre und schloss den Tiananmen-Platz für eine Woche. Seit den Schüssen auf dem Tiananmen-Platz im Jahr 1989 hatte China keine so weitreichenden Unruhen erlebt.
Jordan erfuhr nie, was er, Song und Yu entfacht hatten. Er starb am ersten Tag. Sein Körper war durch die Hiebe mit dem Schlagstock bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden. Allerdings hatte er keine Verwandten, die Anspruch auf ihn erhoben hätten. Er wurde im städtischen Krematorium verbrannt, und der Wind trug seine Asche über den Ozean.
Als sich die Unruhen auf den zweiten Tag ausdehnten, berief der Ständige Ausschuss eine Krisensitzung in Peking ein. Li erwartete, dass die Liberalen im Ausschuss keinesfalls zu einer Diskussion darüber bereit sein würden, ob ihre Wirtschaftspolitik die Gewalttaten angefacht habe. Aber er irrte sich.
»Ist die Armee imstande, es mit diesen Unruhestiftern aufzunehmen?«, fragte ihn Zhang.
»Selbstverständlich kann die Volksbefreiungsarmee die Aufständischen überwältigen«, antwortete Li. »Aber sollten wir nicht auch über die Ursachen dieser Gewalttaten nachdenken? Über das verlangsamte Wirtschaftswachstum?«
»Der wirtschaftliche Rückgang ist vorüber, Minister Li. Unsere Wirtschaft wächst wieder.« Zhang hatte eben neue Statistiken vorgelegt, die auszusagen schienen, dass die Wirtschaft endlich die Wende geschafft hatte. Li wusste
nicht, was er von den Zahlen halten sollte. Wenn es mit der Wirtschaft bergauf ging, warum brannte dann Guangzhou?
»Bereiten Ihnen diese Proteste keine Sorgen?«
»Es gibt immer Unruhestifter. Dafür haben wir doch Ihre Männer. Solange Sie Ihren Job machen, habe ich keine Sorgen.« Zhang blätterte in seinen Papieren. »Erinnern Sie sich, als die Amerikaner diese Aufstände erlebten? In Kalifornien?«
»Selbstverständlich, Minister.«
»Dann erinnern Sie sich auch, dass die Amerikaner keineswegs ihre Politik änderten, als diese Kriminellen versuchten, Los Angeles niederzubrennen. Sie schickten einfach ihre Armee aus, und einige Wochen später war alles vergessen.«
Falls Li noch irgendwelche Zweifel im Hinblick auf seinen Plan gehabt hatte, so waren sie mit diesem Tag verflogen. Zhang und die Liberalen würden nie offen sein für Vernunft, das wusste er nun. Er musste die Kontrolle übernehmen, und schon bald. Wie hoch das Risiko auch sein mochte.
Glücklicherweise hatte er seinen nächsten Schritt schon gesetzt.
19
Langley, Virginia
Der Mann auf dem großen Flachbildschirm strich sich über das kurze schwarze Haar. Während sein Gesicht keinerlei Regung zeigte, verrieten seine Hände seine Nervosität. Er bewegte sie ständig und trommelte ziellos Muster auf den Tisch vor sich. Eine Zigarette glühte in dem Aschenbecher vor ihm. Er nahm sie, zog kräftig daran und blickte auf, als sich eine nicht sichtbare Tür öffnete.
»Ich entschuldige mich für die Verspätung. Wenn Sie bereit sind, können wir anfangen.«
»Ich bin bereit.«
»Auch wenn die Fragen offensichtlich erscheinen, ersuche ich Sie, alle zu beantworten.«
»Selbstverständlich.«
»Fangen wir mit Ihrem Namen an.« Die Frau, die die Fragen stellte, hatte einen weichen englischen Akzent und eine Stimme, die Exley an ein Leben erinnerte, das sie nie haben würde, mit Jagdhunden, langen weißen Handschuhen und einer hohen Teekanne auf einem Silbertablett. In Wirklichkeit hatte diese Frau vermutlich einen furzenden Ehemann und brüllende Zwillinge, lebte in einer Zweizimmerwohnung im falschen Stadtteil von London und fuhr mit der U-Bahn zur Arbeit. Aber sie hatte immer noch diese Stimme.
»Mein Name ist Wen Shubai«, sagte der Mann.
»Alter und Staatsangehörigkeit?«
»Zweiundfünfzig.« Der Mann dämpfte die Zigarette aus. Der Stummel gesellte sich zu einem halben Dutzend weiterer in dem Aschenbecher. »Ich bin Chinese. Geboren in der Provinz Hubei, in der Volksrepublik China.«
»Wo leben Sie jetzt, Mr Wen?«
»In London.« Er sprach sorgfältig Englisch, indem er die richtigen Worte wählte, aber mit starkem Akzent und der Stimme eines Portiers in einem Fünfsternehotel in Peking.
»Und wo arbeiten Sie?«
»Bis heute in der chinesischen Botschaft.«
»Welchen Titel haben Sie?«
»Offiziell bin ich der Handelsdirektor für den Handel zwischen China und Großbritannien.«
»Was haben Sie tatsächlich in der Botschaft gemacht?«
»Ich war Leiter des chinesischen Nachrichtendienstes für Westeuropa.«
»Sie
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