John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
Baschir, aber das sagte er nicht. Mehr. Zweihundert Millionen. Dreihundert Millionen. Mehr. So unvorstellbar viele, dass er sie nicht zählen konnte. Eine Zahl, die seine Vorstellungskraft überstieg. »Sayyid«, sagte er. »Ich will auch, dass die Amerikaner leiden. Aber das hier … ist das wirklich Allahs Wille?«
»Verlierst du die Nerven?«
»Bestimmt nicht. Aber gibt es niemanden, mit dem wir sprechen, den wir um Rat fragen können?«
»All die Jahre haben sie uns bekriegt. All die Jahre sind Muslime gestorben. Wir müssen sie vernichten, Baschir. Es gibt keinen anderen Weg.«
»So Gott will«, sagte Jussuf.
»Ihr habt Recht«, sagte Baschir mit einer Gewissheit, die er nicht fühlte. Wenn er doch seiner Sache nur so sicher gewesen wäre wie Nasiji und Jussuf. »Auf jeden Fall finde ich eine schwarze Fahne besser. Jussuf und ich sind keine Iraker, und, wie du gesagt hast, ist der Irak nicht ihr einziger Sündenfall.«
»Das ändere ich.«
»Und dann?«
»Wenn wir so weit sind, schicken wir unmittelbar, bevor es losgeht, Kopien an CNN, Al-Dschasira und ein paar andere Sender. Außerdem laden wir das Video auf unsere eigenen Websites hoch, falls sie es nicht senden. Aber das Timing muss stimmen, damit das Video erst danach online geht.«
»Und wenn wir das Beryllium nicht rechtzeitig bekommen?«
»Dann warten wir. Selbst wenn wir die Gelegenheit mit der Rede zur Lage der Nation verpassen, können wir auf jeden Fall das Weiße Haus zerstören, den Präsidenten töten und das Zentrum von Washington dem Erdboden gleichmachen. Und wenn sie das Video sehen, wissen sie, wem sie das zu verdanken haben. Schade, dass wir das nicht mehr erleben werden.«
In jener Nacht lag Baschir schlaflos neben Thalia. Wenn er
die Augen schloss, sah er Hiroshima und Nagasaki, die verkohlten Holzhäuser, die Leichen auf den Straßen, denen das Entsetzen noch im Tod anzusehen war. Hätte er die Bilder doch nie zu Gesicht bekommen.
»Was ist los, Doktor?«, fragte Thalia leise auf Arabisch. Doktor. Normalerweise genoss er es, wenn sie ihn so nannte, aber heute Nacht gellte ihm das Wort in den Ohren. Ärzte sollten Leben bewahren.
»Nichts, Frau. Schlaf jetzt.«
»Baschir, erzähl es mir, damit wir beide schlafen können.«
Baschir überlegte, ob er sich ihr anvertrauen konnte. Aber warum nicht? Schließlich war sie seine Frau. »Weißt du, das Ding, das Jussuf, Sayyid und ich im Stall bauen, ist eine Bombe. Eine besondere Bombe. Wusstest du das?«
»Ja.«
»Du wusstest es?«
»Ja, Liebster. Ich bin vielleicht nicht besonders klug, aber das habe ich den Gesprächen zwischen dir und Sayyid entnommen.«
»Eine gewaltige Bombe, die viele Menschen töten wird.«
Thalia drückte seine Hand. »Wie viele?«
»Ich weiß es nicht. Sehr viele.«
»Hier? In Amerika?«
»Ja.«
»Also kafir. « In ihrer Stimme lag eine kindliche Erregung, die ihn überraschte.
»Auch Muslime. Die Bombe macht keinen Unterschied. Nasiji hat einen Plan. Er will einen großen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Russland provozieren. Wenn das klappt, könnte es viele hundert solcher Bomben geben. Vielleicht sogar Tausende. Findest du das schlimm?«
»Nein.«
Baschir war erstaunt. Seine Verblüffung wuchs noch, als seine Frau ihre Hand über seinen Bauch nach unten zwischen seine Beine wandern ließ. Das hatte sie noch nie getan. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, und so lag er schweigend da, als sie ihn mit der Hand rieb, sich auf ihn setzte und ihn in sich aufnahm, während sie wieder und wieder »Nein, nein, nein« flüsterte.
Teil IV
27
Die Mission ließ sich mit drei Worten zusammenfassen. Die Ausführung war deutlich schwieriger.
Ein Schiff finden.
Ein Schiff, das an Silvester mit Ziel Westafrika in Hamburg ausgelaufen, dort aber nie angekommen war. Ein Schiff, das irgendwo auf dem Nordatlantik unterwegs war - vielleicht auch in der Karibik oder auf dem Pazifik, sofern es nicht im Hafen lag oder absichtlich versenkt worden war. Ein völlig unauffälliges Schiff, kein Supertanker, keine Jacht, sondern ein mittelgroßer Frachter, wie es sie überall auf der Welt zu Zehntausenden gab. Ein Schiff, das Juno hieß, sofern es nicht umbenannt worden war. Ein Schiff, das keine sichtbaren Waffen bei sich führte und dem man sich trotzdem nur mit Vorsicht nähern durfte. Vor allem aber ein Schiff, das schnell gefunden werden musste, damit man den Laderaum mit Geigerzählern absuchen, die Mannschaft befragen und den Kapitän in
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