John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
Ursprünglich waren überhaupt keine externen Firmen zugelassen worden, aber nachdem im Einsatzzentrum zweimal in sechs Monaten der Strom ausgefallen war, hatte die Agency ein Einsehen gehabt und ein Team von Lockheed engagiert, um die Elektronik zu reparieren.
Der Anbau war ein hoher, etwa achtzig Quadratmeter großer Raum mit Betonboden und einem irritierend lauten Lüftungssystem. An zwei Wänden zeigten überdimensionale Monitore digitale Karten des Atlantiks, die in vierhunderttausend Felder mit einer Größe von je zehn Quadratmeilen aufgeteilt waren. Auf den Karten war der Ozean in drei Farben unterteilt. Grün waren die Bereiche, die bereits abgesucht und geklärt worden waren. Rot stand für Bereiche mit verdächtigen Schiffen, die kontrolliert werden mussten. Und Gelb symbolisierte die Gebiete, die noch nicht überprüft worden waren. Keine gute
Wahl. Als die Suche nach der Juno begann, sah der Atlantik aus, als wäre er mit Urin gefüllt.
Im Laufe der Stunden und Tage erschienen grüne Flecken auf den Karten und breiteten sich von der Ostküste wie ein von Schiffen übertragenes Virus entlang der großen Routen aus. Blinkende rote Pünktchen erschienen und verschwanden wieder. Ein dritter Monitor enthielt Namen und Fotos der verdächtigen Schiffe. Wenn ein Schiff überprüft worden war, verschwand es vom Bildschirm und wurde durch neue Ziele ersetzt.
Am Morgen des zweiten Tages fanden die Satelliten ein Schiff vor der Küste von Nicaragua, auf das die Beschreibung genau passte. Aber als es von einem Helikopter angefunkt wurde, stellte sich heraus, dass es sich um einen Frachter handelte, der von derselben koreanischen Werft gebaut worden war wie die Juno.
Bis dahin hatte Exley es gründlich satt, auf Bildschirme zu starren. »Ellis, wir können hier nichts tun. Suchen wir uns was anderes.«
»Letzte Woche wolltest du kündigen, und jetzt verlangst du nach Arbeit«, stellte Shafer fest.
»Danach ist Schluss. Noch diesen Job, dann höre ich auf.«
»Wie du meinst.«
»Das habe ich meinen Kindern versprochen, und ich halte mein Wort. Das ist mein voller Ernst.« Aber stimmte das wirklich? Hätte man ihr in diesem Augenblick Thiopental injiziert und sie verhört, sie hätte nicht gewusst, was sie geantwortet hätte.
»Mhm«, machte Shafer. »Finden wir erst mal raus, wo Bernhard Kygeli sein Geld her hat. Wenn hier was passiert, sollen sie uns rufen.«
Niemand hatte Henry Williams offiziell mitgeteilt, dass es mit seiner Karriere vorbei war. Er wusste es trotzdem. Es war gar nicht nötig, dass ihm der Marineminister eine Karte schickte, ihm für dreißig Jahre treuer Dienste dankte und zur Pensionierung gratulierte. Er konnte sich so eine Karte genau vorstellen. Zum Beispiel mit einem Golfer auf dem Deckblatt und der Überschrift »Endlich Zeit für Hobbys« in großen Blockbuchstaben, die auch altersweitsichtige Augen lesen konnten. Wie bei einem Anwalt, der sein Berufsleben am Schreibtisch verbracht hatte. Was hatte das mit einem Mann zu tun, der seine Ehe und alles andere an Land für das Leben auf See aufgegeben hatte? Mit dem Kapitän eines Zerstörers, verflucht noch mal?
Aber die Navy hatte nichts für Versager übrig. Und Williams hatte im vergangenen Sommer versagt. Direkt vor Shanghai hatte sein Schiff, die USS Decatur , einen Fischkutter mit einer Gruppe Studenten an Bord gerammt. Dabei waren zweiundzwanzig Chinesen ums Leben gekommen, und dieser Zwischenfall hatte die Vereinigten Staaten und China an den Rand eines Krieges gebracht. Als Vergeltung hatte ein chinesisches U-Boot einen Torpedo auf die Decatur abgeschossen, was siebzehn von Williams’ Leuten das Leben gekostet hatte.
Eine interne Untersuchung der Marine ergab, dass sich Williams bei beiden Vorfällen korrekt verhalten hatte. Aber Williams war klar, dass er das Stigma nicht mehr loswerden würde. Während die Decatur monatelang im Trockendock lag, hatten sich die hohen Offiziere in Honolulu und Annapolis getroffen, um über die Zukunft der Marine zu sprechen. Er war nicht eingeladen gewesen. Als das Schiff wieder in Dienst gestellt wurde, hatte es seinen Platz im Verband des Flugzeugträgers Ronald
Reagan verloren und wurde zurück an die Ostküste geschickt, um im Atlantik auf und ab zu fahren. Seine Offiziere fragten ihn nicht mehr, welches Schiff er wohl als Nächstes befehligen werde. Nein, seine Hoffnungen, weiter aufzusteigen, sich die Goldtressen eines Admirals zu verdienen, waren im Ostchinesischen Meer gestorben.
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