John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
Viagra gar nichts.«
»Das klingt nicht gut.«
»Vierzig Kilo wäre noch besser. Sagen Sie Ihrem Koch, er soll die Wachteln in den Müll werfen und Gemüse kochen.«
»Vierzig Kilo? Das ist fast ein Drittel meines Gewichts.« Kowalski wog hundertdreißig Kilo.
»Ich weiß.« Breton gab ihm eine Karte: H. W. Rossi, spécialiste de diète. »Wenn Ihnen wirklich am Leben liegt, rufen Sie ihn an. Der Mann hat bei Leuten wie Ihnen schon wahre Wunder gewirkt.«
Tatsächlich hatte Kowalski unter dem wachsamen Blick Rossis, der ausschließlich von Gemüse und ab und zu einem Stück gedünsteter Forelle zu leben schien, innerhalb von drei Monaten dreizehn Kilo abgenommen. In den letzten Wochen war sogar seine Libido zurückgekehrt. Aber die Diät machte ihm zu schaffen. Kowalski war stets stolz auf sein Pokerface gewesen. Jetzt war er so reizbar, dass er immer wieder die Nerven verlor. Und, zum Beispiel, Geschirr zerschlug.
Ja, die Diät zehrte an ihm. Die Diät und das Wissen, dass John Wells noch am Leben war.
Kowalski war der wichtigste private Waffenhändler der Welt. Er schleuste Waffen aus Russland, Frankreich und den Vereinigten Staaten in sämtliche Entwicklungsländer der Welt. Sein Vater, Frederick, war Ende der fünfziger Jahre in das Geschäft eingestiegen, weil er erkannt hatte, dass die kürzlich unabhängig gewordenen Länder Afrikas Waffen brauchen würden und dass in Europa riesige Bestände aus dem Zweiten Weltkrieg in den Lagern verrosteten.
Richtig in Schwung kam das Geschäft, als Frederick 1975 einen Handel zwischen Frankreich und einem jungen irakischen Offizier namens Saddam Hussein vermittelte. Damals studierte Kowalski bereits in Oxford Politikwissenschaften. Ein paar Monate vor seinem Abschluss
erkundigte sich Frederick, wann er bei der Firma anfangen wolle.
»Nie«, sagte Kowalski.
Frederick sah seinen Sohn aus den kühlen dunklen Augen an, die in der Familie lagen.
Kowalski fühlte sich zu einer Erklärung genötigt, wollte seinen Vater aber nicht beleidigen, indem er die moralische Integrität des Geschäfts infrage stellte. »Ich will auf eigenen Füßen stehen.«
Frederick hob die Hand. » C’est bon, Pierre. Wenn du deine Meinung änderst, wird die Tür offen sein.«
Das wird nicht passieren, dachte Kowalski. »Danke, Papa«, sagte er laut.
Aber sein Vater hatte Recht behalten. Nach fünf Jahren bei der Pariser Investmentbank Lazard Frères war ihm sterbenslangweilig gewesen. Die aufgeblasenen Banker in ihren maßgeschneiderten Anzügen glaubten, sie regierten die Welt. Aber die wahren Herrscher, die Generäle, die ganze Völker knechteten, bezahlten keine Anwälte, um ihre Konflikte zu lösen. Wenn sie etwas haben wollten, nahmen sie es sich einfach. Und wenn ihnen ein Fehler unterlief, bekamen sie keine fette Abfindung und ein paar Monate später einen neuen Job. Sie bezahlten mit ihrem Leben.
Und diese Männer wandten sich an seinen Vater, wenn sie Hilfe brauchten. Überall in Afrika, Lateinamerika und dem Nahen Osten wurde Frederick Kowalski empfangen wie ein König. Pierre fand die Heuchelei, die ihm jeden Tag im Geschäftsleben begegnete, widerlich. Diese Firmen mit ihren Branchenverbänden und ihrem Verhaltenscode scherten sich im Grunde nur um ihren Gewinn. Zumindest hielten die Afrikaner mit ihrer Gier nicht hinter
dem Berg. Als ihm sein Chef bei Lazard am fünften Jahrestag seiner Betriebszugehörigkeit mitteilte, er sei auf dem besten Weg, Partner zu werden, kündigte Pierre.
Zwei Tage später war er wieder in Zürich. Als er das Büro in der Bahnhofstraße betrat, empfing ihn sein Vater mit einem Lächeln.
»Willst du bei mir anfangen?«
Ein wenig beschämt hatte Pierre genickt. Bisher war ihm nie der Gedanke gekommen, dass er zu lange gewartet haben könnte, dass sein Vater verärgert sein oder ihn sogar abweisen könnte.
»Wieso hast du so lange gebraucht?«
Ein paar Jahre später wurde die Firma in KowalskiPère et Fils umbenannt. Als Frederick 1999 einen Schlaganfall erlitt, übernahm Pierre das Unternehmen. Neben seiner Tochter Anna, die regelmäßig in den Modezeitschriften Erwähnung fand, hatte Kowalski fils zwei Söhne aus seiner ersten Ehe . Bisher hatte keiner von beiden Interesse an seinem Geschäft gezeigt, aber Kowalski ging davon aus, dass sich das bald ändern würde.
Wie sein Vater führte er die Firma nach wenigen einfachen Grundsätzen. Er versprach Kunden niemals Waffen, die er nicht liefern konnte. Er lagerte seine Ware nie auf
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