John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
rauchen und essen und Wells so des Vergnügens berauben, ihn umzubringen.
»Also weiß niemand, wo Wells ist?«
»Wahrscheinlich in Washington. Vielleicht können ihn deine dortigen Freunde aufspüren?«
Die Dunhill schmeckte alt, und Kowalski warf sie nach dem ersten Zug beiseite. »Noch nicht. Eines ist klar: Jetzt, wo er Witterung aufgenommen hat, wird er nicht aufgeben. Wir brauchen ihn nicht zu suchen. Er wird zu uns kommen.«
»Dann ist es ja gut«, sagte Tarasow. »Was die andere Sache angeht …«
»Welche andere Sache?«
»Das Uran.«
»Natürlich.« Kowalski war so auf Wells fixiert gewesen, dass er vergessen hatte, warum er Tarasow ursprünglich nach Russland geschickt hatte. »Was ist damit?«
»Die Leute reden nicht viel. Noch nicht einmal meine ältesten Freunde. Aber ich glaube, du hast Recht. Es hat einen empfindlichen Verlust gegeben. Die Sache ist ernster, als sie dir gegenüber erwähnt haben.«
»Wie ernst? Ein Kilo? Zwei?«
Tarasow rieb sich müde den Hals. »Es klingt unglaublich, aber ich glaube, denen ist eine Bombe abhandengekommen. Zumindest das Material, um eine zu bauen.«
Zum zweiten Mal in fünf Minuten hatte Kowalski das Gefühl, dass eine gewaltige Hand durch seine Rippen griff und sein Herz zusammendrückte. Eine Kernwaffe war verschwunden?
»Abhandengekommen, sagst du. Heißt das verlorengegangen oder gestohlen?«
»Gestohlen.«
»Ganz sicher?«
»Bestätigen will mir das keiner. Aber rund um Tscheljabinsk herrscht hektische Aktivität. Der halbe FSB ist da unten. Jede Menge Verhaftungen, und die Muslime haben nichts zu lachen.«
»Was noch?«
»Alle Militärbasen sind abgesperrt. Genau wie das Werk Majak. Sämtliche Waffen werden auf Vollzähligkeit überprüft. Das weiß ich sicher. Und an den großen Moskauer Einfallstraßen werden mobile Straßensperren eingerichtet. Bisher keine permanente Blockade. Vermutlich wollen sie eine Panik vermeiden.«
»Und keinem ist was aufgefallen?«
»Du kennst doch die russischen Medien. Die melden nichts, was nicht vom Kreml abgesegnet wäre.«
»Sonst noch was?«
»Interpol und selbst die amerikanischen Behörden wurden gebeten, nach einem Mann namens Grigorij Farsadow Ausschau zu halten. Angeblich soll das ein Schmuggler sein. Ist er aber nicht. Der Mann hat eine Führungsposition im Werk Majak. Er und ein Cousin von ihm sind seit ein paar Wochen spurlos verschwunden. Der Cousin arbeitet auch im Werk. Besser gesagt, arbeitete.«
»Sind die beiden Russen?«
»Müssen sie wohl, wenn sie in Majak angestellt waren.«
»Sonst noch was?«
»Im Augenblick nicht.«
»Gut. Danke, Anatolij. Jetzt muss ich eine Weile allein sein, damit ich über die Sache nachdenken kann.«
An der Tür wandte sich Tarasow um. »Hältst du das wirklich für möglich?«
»Wissen wir nicht mittlerweile beide, dass alles möglich ist?«
Ein paar Minuten später steckte Nadja den Kopf ins Zimmer.
»Alles in Ordnung, Pierre?«
»Ja, mein Engel. Komm rein.«
Sie setzte sich neben ihn auf die Couch und fuhr ihm mit der Hand über das Gesicht. Sie trug eine Yogahose und einen engen schwarzen Wollpullover. Hätte Kowalski nicht einen Herzinfarkt gefürchtet, dann hätte er das Viagra-Gläschen in seiner Schreibtischschublade geöffnet und sie an Ort und Stelle vernascht. Zumindest hätte er es versucht.
»Ich weiß, dass ich mich nicht in deine Geschäfte einmischen soll, aber stimmt was nicht?«
»Ich muss mich mit einem höchst unangenehmen Menschen herumärgern«, erwiderte Kowalski.
»Hast du versucht, mit ihm zu reden?«
»Das geht nicht.«
»Du solltest es auf jeden Fall versuchen. Du kannst nämlich sehr überzeugend sein, weißt du.« Sie küsste ihn auf die Wange.
»Aber im Geschäftsleben muss man eine Gegenleistung bieten können, Nadja. Verstehst du das?« Kowalski hatte keine Ahnung, warum er plötzlich den Drang spürte, ihr das zu erklären, doch so war es.
»Natürlich. Eine Hand wäscht die andere.«
»Ja, nur habe ich nichts, was ich ihm geben könnte.«
Doch noch während er sprach, wurde Kowalski klar, dass er sich möglicherweise irrte. Falls Tarasow Recht hatte, könnte er Wells vielleicht etwas von unschätzbarem Wert anbieten.
14
Wells drehte am Gasgriff seiner Honda und bretterte mit hundertdreißig Stundenkilometern durch die Washingtoner Satellitenstädte in Virginia auf der Interstate 66 nach Westen. Heute Abend ertrug er sich selbst nicht mehr. Der ausgebrannte Cop, der sich in der leeren Bar mit Whiskey
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