Johnson, Denis
Bange», sagte Georgie. «Wir bringen dich hin.»
«Wie das?»
«Irgendwie. Ich glaub, ich kenn da ein paar Leute. Keine Bange. Wir kriegen dich schon nach Kanada.»
Was für eine Welt! Heute ist nichts mehr davon übrig; alles wegradiert, zusammengerollt wie ein Stück Papier und beiseite gelegt Trotzdem, mit den Fingerspitzen kann ich sie noch berühren. Nur, wo ist sie?
Etwas später fragte Hardee Georgie: «Was machst du eigentlich so?», und Georgie sagte: «Ich rette Leben.»
SCHMUTZIGE HOCHZEIT
Ich saß gern vorn und fuhr den ganzen Tag herum, vor allem in den schnellen; ich mochte es, wenn sie nördlich des Loop haarscharf an den Häusern vorbeifegten, und ich mochte es besonders, wenn die Gebäude ein Stück weiter nördlich plötzlich jenem wie ausgebombten Elend wichen (durchs Fenster sah man, wie jemand sich in einer kahlen, schmutzigen Küche Suppe ins Gesicht löffelte, oder man sah zwölf Kinder bäuchlings auf dem Boden vor einem Fernseher, und einen Moment später waren sie dann schon wieder verschwunden, weggewischt von einem großen Kinoplakat, auf dem eine Frau einem zuzwinkerte, während sie sich mit der Zunge neckisch über die Oberlippe fuhr, und dann wieder wurde diese Frau ausgelöscht von einem – ruuuuiums, von irgendwo rauschten Lärm und Düsternis herab – Tunnel), in dem tatsächlich noch Menschen lebten.
Ich war fünfundzwanzig, sechsundzwanzig, so ungefähr. Ich hatte vom Rauchen ganz gelbe Fingerspitzen. Ich hatte eine schwangere Freundin.
Line Fahrt mit der Bahn kostete fünfzig Cent, neunzig Cent, einen Dollar. Keine Ahnung mehr.
Vor der Abtreibungsklinik standen Demonstranten Spalier, besprengten uns mit Weihwasser und wickelten sich ihre Rosenkränze um die Finger. Ein Mann mit dunkler Sonnenbrille folgte Michelle wie ein Schatten die riesigen Stufen hinauf bis zur Tür und singsangte ihr leise ins Ohr; vermutlich betete er. Mit was für Worten? Das würde ich gern von ihr wissen. Aber es ist Winter, die Berge ringsum sind hoch und schneebedeckt, und jetzt würde ich Michelle ohnehin nicht mehr finden.
Im zweiten Stock gab Michelle der Schwester ihre Terminbestätigung. Zusammen gingen sie durch einen Vorhang.
Ich schlenderte zum andern Ende des Gangs, wo ein kurzer Film über Sterilisierungen gezeigt wurde. Später sagte ich ihr, ich hätte mich längst sterilisieren lassen; sie müsse wohl von jemand anders schwanger geworden sein. Dann wieder erzählte ich ihr, ich hätte Krebs, inoperabel, und bald sei’s aus und vorbei mit mir. Doch mit nichts von dem, was ich mir ausdachte, wie drastisch oder grauenvoll es auch sein mochte, habe ich ihr je ins Gewissen reden können, und ich hab's auch nicht geschafft, daß sie mich wieder hebte wie am Anfang, als sie mich noch nicht so gut kannte.
Egal – es wurde also dieser Film gezeigt, und wir zwei, drei, vier Leutchen, die wir auf Frauen auf der anderen Seite des Flurs warteten, schauten ihn uns an. Für mich lag alles wie hinter Nebel, weil ich mit Schrecken daran dachte, was sie gerade mit Michelle und den anderen Frauen und natürlich auch mit den kleinen Föten taten. Nach dem Film sprach ich mit einem Mann über eine Sterilisierung. Einem Mann mit Schnurrbart Ich fand ihn unsympathisch.
«Sie müssen sich ganz sicher sein», sagte er.
«Ich werd nie wieder jemanden schwängern, soviel steht fest»
«Möchten Sie einen Termin?»
«Möchten Sie mir das Geld dafür geben?»
«Das Geld haben Sie schnell zusammen.»
«Das Geld hätte ich in Ewigkeiten nicht zusammen», verbesserte ich ihn.
Anschließend setzte ich mich in den Wartebereich auf der anderen Seite des Korridors. Nach einer Dreiviertelstunde kam die Schwester heraus und sagte: «Michelle geht es jetzt besser.»
«Ist sie tot?»
«Natürlich nicht»
«Ein bißchen wünschte ich, sie wär’s.»
Sie sah mich entgeistert an. «Ich weiß nicht, wovon Sie reden.»
Ich ging durch den Vorhang zu Michelle hinein. Sie roch schlecht.
«Wie fühlst du dich?»
«Ganz gut»
«Was haben die da aus dir rausgeklaubt?»
«Was?» sagte sie. «Was?»
«He», sagte die Schwester. «Raus hier. Raus hier.»
Sie ging durch den Vorhang und kam mit einem stämmigen Schwarzen zurück, der ein gestärktes weißes Hemd und ein goldfarbenes Abzeichen aus Blech trug. «Ich hab nicht den Eindruck, daß der Herr hier im Gebäude benötigt wird», sagte sie zu ihm, und zu mir sagte sie: «Würden Sie also bitte draußen warten, Sir?»
«Ja, ja, ja», sagte
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