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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesu’s Sohn
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ich, und auch den ganzen Weg zurück über die hohen Stufen und hinaus vor die Eingangstür sagte ich: «Ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja.»
    Draußen regnete es. Fast alle Katholiken hatten sich unter die Markise des Nachbarhauses gedrängt und hielten sich ihre Schilder als Regenschutz über die Köpfe. Sie spritzten mir Weihwasser auf die Wange und in den Nacken, aber ich fühlte nichts. Viele Jahre nicht.
    Da ich nicht wußte, was ich sonst hätte tun sollen, fuhr ich mit der Hochbahn herum.
     
    Ich betrat einen der Wagen, als sich die Türen gerade schlossen; es war, als hätte der Zug nur auf mich gewartet.
    Und was, wenn es nur noch Schnee gäbe? Überall Schnee, kalt, weiß, alle Entfernungen zuschüttend? Und ich folge nur meinem Gespür, ziehe durch diesen Winter, bis ich zu einem Hain voll weißer Bäume gelange. Und sie läßt mich ein.
    Die Räder kreischten auf, und auf einmal sah ich bloß noch die klobigen, häßlichen Schuhe all der Leute, sonst nichts. Das Geräusch riß ab. Wir fuhren an einsamen, herzzerreißenden Szenen vorbei.
    Und im Durchfahren der Stadtviertel, im Vorüberziehen der Bahnhöfe spürte ich das ausgelöschte Leben; es träumte mir nach. Ja: ein Geist Eine Spur. Etwas Bleibendes.
     
    Bei einem Halt gab es ein Problem mit den Türen. Wir bekamen Verspätung (das heißt die von uns, die ein Ziel hatten). Der Zug wartete und wartete mit beunruhigender Ruhe. Dann summte er leise. Daran merkt man, gleich geht’s wieder los.
    Ein Mann trat ein, als sich die Türen gerade schlössen. Die ganze Zeit hatte der Zug nur auf ihn gewartet; keine Sekunde, ja nicht einmal eine halbe Sekunde nach seinem Eintreffen sprengte er den geheimnisvollen Kristall seiner Trägheit. Der Mann war da, jetzt fuhren wir. Er nahm vorn im Wagen Platz. Hatte nicht den blassesten Schimmer, wie wichtig er war. Auf was für ein Schicksal – erbärmlich, glücklich – würde er jenseits des Flusses treffen?
    Ich beschloß, ihm zu folgen.
    Nach ein paar Stationen stieg er aus und ging in ein Viertel mit niedrigen, eintönigen Brownstone-Häusern.
    Er bewegte sich mit federnden Schritten, seine Schultern spannten sich, sein Kinn schob sich rhythmisch vor. Er sah nicht nach links oder rechts. Bestimmt war er die Strecke schon zwölftausendmal gegangen. Daß ich ihm in einigem Abstand folgte, ahnte und spürte er nicht.
    Es war ein polnisches Viertel irgendwo in der Stadt Und in den polnischen Vierteln gibt’s immer diesen Schnee. Es gibt dieses Obst mit Licht drauf, es gibt Musik, die man sonst nirgends findet. Wir landeten in einem Waschsalon, wo der Mann sein Hemd auszog und in eine Waschmaschine steckte. Er kaufte sich einen Pappbecher Kaffee aus einem Automaten.
    Dann las er die Zettel an der Wand, schaute zu, wie seine Maschine hin und her ruckelte, und schlenderte herum, wobei er nur seine Sportjacke aus Haifischleder trug. Seine Brust war schmal und weiß, und um die kleinen Brustwarzen sprossen Haare.
    Es waren noch ein paar andere Männer im Waschsalon. Er quatschte ein bißchen mit ihnen. Ich hörte, wie einer sagte: «Die Bullen wollten mit Benny reden.»
    «Wieso das? Was hat er getan?»
    «Er hatte ‘ne Kapuze auf. Die haben ‘nen Typen mit Kapuze gesucht»
    «Und der, was hat der getan?»
    «Nichts. Gar nichts. Irgendwer ist letzte Nacht ermordet worden.»
    Und nun trat der Mann, dem ich gefolgt war, auf mich zu. «Du warst doch im Zug», sagte er. Er hob sei- nen Becher, schleuderte sich ein Schlückchen Kaffee zwischen die Lippen.
    Ich drehte mich weg, denn es schnürte mir die Kehle zu. Auf einmal hatte ich eine Erektion. Ich wußte zwar, daß es Männern mit Männern so gehen kann, aber nicht, daß es auch mir so ging. Seine Brust war wie die von Christus. Der war er wahrscheinlich auch.
    Ich hätte ich-weiß-nicht-wem aus diesem Zug folgen können. Es war mir genauso ergangen.
     
    Ich lief zurück, fuhr wieder über den Straßen dahin.
    Natürlich hätte ich ohne weiteres dorthin gehen können, wo Michelle und ich wohnten, aber wir waren damals bis aufs Rebel Motel heruntergekommen. Im Rebel Motel rotzten die Zimmermädchen in die Duschkabinen, und es roch nach Insektenmitteln. Da wollte ich nicht hin, bloß um in unserem Zimmer zu sitzen und zu warten.
    Die Sache mit Michelle und mir war ein Drama. Manchmal war das sehr öde, aber ich glaubte nun mal, nicht auf sie verzichten zu können: damit wenigstens ein Mensch in diesen Motels meinen wahren Namen kannte.
    Nach hinten raus standen lauter

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