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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesu’s Sohn
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es schneite. Vielleicht geschah es an dem Tag, an dem wir im Wagen schliefen und ich mich auf die Häschen rollte und sie platt drückte. Es liegt nicht viel dran. Wichtig ist für mich nur noch diese Erinnerung: daß früh am Morgen der Schnee von der Windschutzscheibe geschmolzen war und Tageslicht mich weckte. Alles hatte sich in Dunst gehüllt und zeigte sich nun im Sonnenschein in scharfumrissenen, merkwürdigen Formen. Die Häschen waren noch kein Problem, oder sie waren schon ein Problem gewesen und längst vergessen, und ich dachte an nichts. Ich spürte die Schönheit des Morgens. Ich begriff, daß ein Ertrinkender plötzlich das Gefühl haben mag, ein tiefer Durst werde ihm gestillt. Oder daß ein Geknechteter der Freund seines Herrn werden kann. Georgie schlief mit dem Gesicht auf dem Lenkrad.
    Drüben beim Drive-in sah ich Schnee in winzigen Ballungen auf den Ständern der Lautsprecher. Er glich Blüten, einer Überfülle davon, oder nein: er brachte bloß die Blüten zum Vorschein, die immer da sind. Ein Elchbulle stand mit einer Miene von Erhabenheit und Beschränktheit auf der Weide hinter dem Zaun. Und ein Kojote lief durchs Gras und verschwand unter den jungen Bäumen.
     
    Nachmittags waren wir pünktlich wieder im Krankenhaus und machten unsere Arbeit, als hätten wir sie nie unterbrochen und wären nie weg gewesen.
    «Der Herr», sprach die Gegensprechanlage, «ist mein Hirte.» Das tat sie jeden Abend, es war ein katholisches Krankenhaus. «Vater unser, der du bist im Himmel» und so weiter.
    «Jaja», sagte Schwesterchen.
    Der Mann mit dem Messer im Kopf, Terrence Weber, wurde um die Mittagszeit entlassen. Man hatte ihn über Nacht dabehalten und ihm eine Augenklappe gegeben, alles ohne wirklichen Grund.
    Er kam noch einmal in der Notaufnahme vorbei, um sich zu verabschieden. «Also», sagte er, «von den Tabletten, die ich gekriegt hab, schmeckt alles fürchterlich.»
    «Hätte schlimmer kommen können», sagte Schwesterchen.
    «Sogar meine eigne Zunge.»
    «Es ist ein Wunder, daß Sie nicht blind sind oder überhaupt gleich mal mausetot», sagte sie belehrend.
    Der Patient erkannte mich wieder. Er lächelte mir zu. «Die Frau von nebenan», sagte er, «hat ein Sonnenbad genommen, und ich hab sie heimlich beobachtet Da beschloß meine Frau, mir das Augenlicht zu nehmen.»
    Er schüttelte Georgie die Hand. Georgie erkannte ihn nicht. «Wer sind Sie denn nun wieder?» fragte er Terrence Weber.
     
    Ein paar Stunden zuvor hatte Georgie etwas gesagt, das schlagartig den ganzen Unterschied zwischen uns deutlich gemacht hatte. Wir waren über den Alten Highway zurück in die Stadt gefahren, durch plattes Land, und hatten einen Tramper mitgenommen, einen Jungen, den ich kannte. Wir hielten, und der Junge krabbelte umständlich aus den Feldern heraus wie aus dem Schlund eines Vulkans. Sein Name war Hardee. Er sah noch übler aus als wir, vermute ich mal.
    «Wir sind abgestürzt und haben im Wagen übernachtet», sagte ich zu Hardee.
    «Hab ich mir gleich gedacht», sagte Hardee. «Entweder abgestürzt oder, na du weißt schon, 1000 Kilometer auf einmal runtergerissen.»
    «Das auch noch», sagte ich.
    «Oder krank oder total versifft oder was weiß ich.»
    «Wer is’n das?» fragte Georgie.
    «Das ist Hardee. Letzten Sommer haben wir zusammengewohnt Eines Tages hab ich ihn vor der Tür gefunden. Was ist denn aus deinem Hund geworden?» fragte ich Hardee.
    «Ist noch da unten.»
    «Richtig, du bist nach Texas gegangen, hab ich gehört.»
    «Ich hab auf’ner Bienenfarm gearbeitet», sagte Hardee.
    «Wow. Haben die Dinger dich gestochen?»
    «Nicht so, wie man denken würde», sagte Hardee. «Du gehörst ja zu ihrem Tagesablauf, und irgendwie geht alles harmonisch zusammen.»
    Vor unseren Gesichtern rollte wieder und wieder dasselbe Stück Land vorbei, ununterscheidbar. Der Tag war wolkenlos, das Licht blendete. Aber Georgie sagte: «Seht mal» und zeigte auf einen Punkt direkt vor uns.
    Ein Stern glühte so stark, daß er, licht und blau, am leeren Himmel erschien.
    «Ich hab dich gleich wiedererkannt», sagte ich zu Hardee. «Aber was ist mit deinen Haaren? Wer hat die so kurz geschnitten?»
    «Erinner mich bloß nicht dran.»
    «Dann sag’s mir lieber nicht»
    «Sie haben mich einberufen.»
    «Ach nein.»
    «Ach doch. Unerlaubte Entfernung von der Truppe. Ich bin fahnenflüchtig. Ganz übel. Deshalb bin ich ja hier. Ich muß nach Kanada.»
    «Ist ja fürchterlich», sagte ich zu Hardee.
    «Keine

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