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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesu’s Sohn
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und legte ihm einen Zettel aufs Kopfkissen, direkt neben sich, wo er ihn nicht übersehen konnte: denn er sollte sie retten. Aber als er nachts nach Hause kam, war er so betrunken, daß er sich einfach mit dem Gesicht auf den Schrieb legte und einschlief, und als er am nächsten Morgen aufwachte, war meine schöne Michelle kalt und tot.
    Sie war eine Frau, eine Verräterin und eine Mörderin. Männer wie Frauen begehrten sie. Aber nur ich hätte sie lieben können.
    Noch Wochen nachdem sie gestorben war, erzählte John Smith jedem im Vertrauen, daß Michelle ihn von der anderen Seite des Lebens aus rief. Sie umwarb ihn. Sie schaffte es, ihm wirklicher zu erscheinen als sämtliche Menschen, die er um sich herum sah, Menschen, die noch atmeten, Menschen, von denen man annehmen mußte, daß sie am Leben waren. Als ich kurz darauf hörte, daß John Smith gestorben war, war ich nicht überrascht.
     
    An meinem vierundzwanzigsten Geburtstag zankten wir uns wieder einmal, und sie verließ die Küche, kam mit einer Pistole zurück und feuerte von der andern Tischseite fünf Schüsse auf mich ab. Aber sie schoß daneben. Sie war nicht auf mein Leben aus, sie wollte mehr. Sie wollte mein Herz verzehren und sich mit dem, was sie getan hatte, in die Wüste flüchten; sie wollte auf die Knie niedergehen und aus ihrer Untat gebären; sie wollte mich verletzen, wie nur eine Mutter ihr Kind verletzen kann.
     
    Ich weiß, man streitet darüber, ob das Ganze richtig sei oder nicht, ob das Baby an diesem oder jenem Punkt seines Wachstums im Mutterleib schon am Leben sei oder nicht. Aber darum ging es nicht Es ging nicht um das, was die Anwälte taten. Es ging nicht um das, was die Ärzte taten, es ging nicht um das, was die Frau tat. Es ging um das, was die Mutter und der Vater taten, beide zusammen.

DER ANDERE MANN
     
     
    Aber ich hab euch nie die Geschichte von den beiden Männern zu Ende erzählt Ja, ich hab noch nicht mal begonnen, euch den zweiten Mann zu beschreiben, den ich sozusagen mitten im Puget-Sund kennenlernte, als ich auf dem Weg von Bremerton, Washington, nach Seattle war.
    Im Grunde war dieser Mann einfach ein Schiffsreisender wie so viele; er lehnte an der Reling wie die andern auch und ließ die Hände, wie Köder, drüber wegbaumeln. Für den nördlichen Teil der Westküste war es ein ungewohnt sonniger Tag. Und ich bin sicher, wir alle fühlten uns gesegnet auf der Fähre dort, zwischen den Buckeln leuchtendgrüner (im Sonnenschein fast phosphorhaft kühl brennender) Inseln und beim Blick auf das Wasser kleinerer Buchten, das im wahren Licht des Tages blinkte, unter einem Himmel, so blau und hirnlos wie die Liebe Gottes, und trotz des Geruchs, des kaum merklichen, traumgleichen Erstickens, das von irgendeiner Petroleumverbindung zur Versiegelung der Deckfugen kam.
    Der Mann trug eine Hornbrille und hatte ein scheues Lächeln, womit gemeinhin, glaub ich, das Lächeln von jemandem gemeint ist, der dabei zur Seite schaut.
    Und daß er beim Lächeln zur Seite schaute, lag an seiner Fremdheit, an dem geringen Anklang, den er bei andern fand, an seinem Versagertum.
    «Wie wär’s mit paar Bierchen?»
    «Gut», sagte ich.
    Er brachte mir ein Bier und erklärte, er sei aus Polen und zur Zeit bei uns auf Geschäftsreise. Ich blieb und redete über das Nahehegende. «Es ist ein schöner Tag» – womit wir meinten, daß das Wetter gut war. Aber nie würden wir sagen: «Es ist gutes Wetter», «angenehmes Wetter». Immer bloß: «Es ist ein schöner Tag», «Was für ein schöner Tag!»
    Er war ein trauriger Fall. Seine Jacke war federleicht und gelb. Gut möglich, daß er sie zum ersten Mal trug; es war die Art Jacke, die sich ein Fremder in einem Laden kaufen würde, wenn er sich sagt: «Jetzt kaufe ich mir eine amerikanische Jacke.» – «Hast du», fragte er mich, «eigentlich Familie? Einen Vater, Mutter, Bruder, Schwester?»
    «Ich hab einen Bruder, einen einzigen, und meine Eltern leben beide noch.»
    Er reiste in einem Mietwagen und hatte ein Spesenkonto: ein weitgereister junger Mann ohne Sorgen. Eine gewisse Begierde entspann sich zwischen uns. Ich wollte teilhaben an dem, was ihm widerfuhr; das kam ganz achtlos und instinktiv. Ich wollte nichts Bestimmtes von dem, was er hatte. Ich wollte alles.
    Wir gingen nach unten und setzten uns in sein neu riechendes Mietauto. Wir warteten, bis das Schiff angedockt hatte, fuhren die Rampe hinunter und noch ein winziges Stück bis zu einem am Wasser gelegenen Restaurant

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