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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesu’s Sohn
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Müllcontainer, vollgestopft mit Gott weiß was. Wir sind nie in der Lage, uns unser Schicksal vorzustellen, soviel ist sicher.
    Nehmt an, ihr triebt zusammengerollt in etwas Dunklem. Selbst wenn ihr denken könntet, selbst wenn ihr Vorstellungskraft besaßt, wie wolltet ihr euch je das Gegenteil vorstellen, die Wunderwelt, die von den asiatischen Taoisten «Die zehntausend Dinge» genannt wird? Und wenn das Dunkel noch dunkler würde? Und ihr also tot wärt? War es euch nicht egal? Wie wolltet ihr überhaupt den Unterschied erkennen?
     
    Ich saß ganz vorn. Gleich neben mir war die kleine Kabine mit dem Fahrer. Man spürte, wie er sich da drinnen materialisierte und entmaterialisierte. Daß er blind war, spielte in der Dunkelheit unter dem Universum keine Rolle; er erschloß sich die Zukunft mit seinem Gesicht. Und dann, übergangslos, wurde es still im Zug, als wäre ihm plötzlich die Puste ausgegangen, und wir kamen zurück in den Abend.
    Schräg gegenüber von mir saß ein liebes kleines schwarzes Ding, sechzehn vielleicht, voll auf Heroin. Sie konnte nicht mal den Kopf oben halten. Sie konnte nirgendwo als in ihren Träumen leben. Sie wußte: Scheiße, genausogut hätten wir Hundetränen schlürfen können. Nichts zählte, außer daß wir am Leben waren.
    «Ich hab noch nie schwarzen Honig gekostet», sagte ich zu ihr.
    Sie kratzte sich an der Nase und schloß die Augen, und ihr Gesicht tauchte hinab ins Paradies.
    «He du», sagte ich.
    «Schwarz. Ich bin nicht schwarz», sagte sie. «Ich bin gelb. Sag nicht, ich war schwarz.»
    «Wie gern hätte ich ein bißchen was von dem, was du hast», sagte ich.
    «Alles längst weg, Mann. Weg, weg, weg.» Sie lachte wie Gott Ich konnte es ihr nicht verübeln.
    «Gibt’s ‘ne Chance, noch was zu bekommen?»
    «Wieviel willst du denn? Hast du ‘nen Zehner?»
    «Könnte sein. Sicher, ja.»
    «Dann nehm ich dich mit», sagte sie. «Ich nehm dich mit ins Savoy.» Zwei Stationen später stieg ich mit ihr aus und folgte ihr runter auf die Straßen. Einige Leute standen um Mülltonnen herum; Flammen schlugen da raus; dazu Gemurmel und Gesinge. Die Straßenlampen und Ampeln waren mit Maschendraht umhüllt.
    Ich weiß, manche Leute glauben, daß man, wohin man auch blickt, immer nur sich selber sieht Bei Erlebnissen wie diesen frage ich mich, ob sie nicht recht haben.
    Das Savoy war ein finsterer Ort Was es an Wirklichkeit besaß, verlor sich mehr und mehr, je höher es über der First Avenue aufragte, weshalb die oberen Stockwerke im Raum zerstoben. Monstren schleppten sich die Treppen hoch. Der Tresen der Kellerbar lief über drei Seiten eines Rechtecks, groß wie ein olympisches Schwimmbecken, und über der Tanzfläche hing erstarrt ein schwerer goldner Vorhang. Alle wußten, was sie zu tun hatten. Die Leute zahlten mit Scheinen, die sie selber fabrizierten, indem sie von einem Zwanziger die Ecke abrissen und auf einen Einer klebten. Ein Mann mit hohem schwarzem Hut, dichtem blondem Haar und einem modischen blonden Bart sah aus, als wäre er gern dort; woher wußte er, was er zu tun hatte? Die schönen Frauen in meinen Augenwinkeln verschwanden, sobald ich ihnen ins Gesicht sah. Draußen herrschte Winter Nacht am Nachmittag. Böse, böse Happy Hour. Ich kannte die Spielregeln nicht Ich wußte nicht, was ich zu tun hatte.
    Als ich das letzte Mal im Savoy war, war es das in Omaha gewesen. Seitdem hatte ich einen Bogen darum gemacht, über ein Jahr lang; trotzdem ging es mir immer schlechter. Wenn ich hustete, sah ich Glühwürmchen.
    Alles da unten war rot, nur der Vorhang nicht Alles wirkte wie ein Film über etwas, das wirklich geschah. Schwarze Luden in Fechtmänteln. Und die Frauen waren leere, glitzernde Flächen, in denen Photographien von traurigen Mädchen trieben. «Gib mir einfach das Geld», sagte jemand zu mir, «dann geh ich schon nach oben.»
     
    Michelle verließ mich endgültig wegen eines Manns namens John Smith, oder soll ich sagen: Als wir uns wieder mal getrennt hatten, fing sie was mit einem Mann an, hatte bald darauf ziemliches Pech und starb? Wie auch immer, sie ist nie zu mir zurückgekommen.
    Ich kannte ihn, diesen John Smith. Einmal, auf einer Party, wollte er mir eine Waffe verkaufen, und später sorgte er auf derselben Party dafür, daß alle minutenlang still waren, weil ich ein Lied im Radio mitsang und ihm meine Stimme gefiel. Michelle ging mit ihm nach Kansas City, und eines Nachts, als er nicht zu Hause war, nahm sie einen Haufen Tabletten

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