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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesu’s Sohn
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mit Ausschank. Es war ein lautes Lokal, sonnengesprenkelt und von den tiefen Klängen dickbauchiger Biergläser erfüllt.
    Ich habe ihn nicht gefragt, ob er eine Frau, eine Familie hatte. Und er fragte mich auch nicht weiter. «Fährst du Motorrad? Ich schon», sagte er. «Ich fahr so eine kleine, na, wie heißt noch, ach ja: Roller – so heißt. Die großen Hell’s Angel, die haben Motorräder, aber ich fahr kleine Roller, also bitte! In Warschau, meiner Stadt, fahren wir nach zwölf Uhr nachts immer noch durch den Park, obwohl die Bestimmungen sagen: Nein, ihr dürft um diese Zeit nicht mehr in den Park! Zwölf Uhr, Nachtmitte – ach was: Mitternacht, genau, ganz genau, das ist gegen die Bestimmung, das ist gegen das Gesetz. Und das Gesetz lautet: Der Park ist geschließt. Geschlossen, schon klar, danke, so lautet das Gesetz, und man kommt einen Monat in Gefängnis, wenn man geht trotzdem rein. Oh, wir haben unsern viele Spaß! Ich schnalle meinen Helm um, und wenn die Polizisten dann schnappen, machen sie zwar mumm! krack! mit ihren Stöcken. Aber weh tun tut das nicht. Außerdem entwischen wir ihnen jedesmal, weil sie zu Fuß sind, die Polizisten, die haben für den Park nicht mal ein Fahrgelegenheit Also bleiben wir jedesmal Sieger! Und jedesmal ist es stockduster dort nach Nachtmitte!»
    Er entschuldigte sich und stand auf, um zur Toilette zu gehen und noch einen Krug Bier zu bestellen.
    Bisher hatten wir unsere Namen nicht erwähnt, und wahrscheinlich würden wir’s auch nicht mehr tun. Das hab ich in Bars immer wieder erlebt.
    Dann kam er mit einem Krug Bier zurück, schenkte mir ein und setzte sich. «Ach, hol’s der Geier», sagte er, «ich bin gar kein Pole. Ich bin aus Cleveland.»
    Ich war schockiert, einfach sprachlos. Ohne Quatsch. Keine Sekunde hatte ich an so was gedacht. «Na», sagte ich, «dann erzähl doch mal was von Cleveland.»
    «Einmal», sagte er, «hat der Cuyahoga Feuer gefangen. Er brannte mitten in der Nacht. Das Feuer trieb mit der Strömung flußabwärts. Es war interessant, das zu beobachten, weil man eigentlich erwartet hätte, daß das Feuer auf einem Punkt bleiben und das Wasser unten durchfließen würde. Irgendwelche Schadstoffe hatten Feuer gefangen, leicht entzündliche Chemikalien und Abfalle aus den Fabriken.»
    «Von dem Zeug, das du mir vorher erzählt hast, war davon irgendwas wahr?»
    «Der Park ist wahr», sagte er.
    «Das Bier ist wahr», sagte ich.
    «Und die Polizisten und der Helm. Ich hab auch wirklich ‘nen Roller», sagte er, und nach dieser Erklärung schien ihm wohler zu sein.
    Immer wenn ich anderen von diesem Mann erzählt habe, bin ich gefragt worden: «Hat der sich etwa an dich ranmachen wollen?» Ja, hat er. Aber warum ist es für jeden offensichtlich, daß unsere Begegnung nur darauf hinauslaufen konnte, wo es doch für mich, der ich ihn getroffen und mit ihm geredet habe, keineswegs offensichtlich war?
    Später, als er mich vor dem Haus abgesetzt hatte, in dem meine Freunde wohnten, blieb er kurz stehen, schaute zu, wie ich über die Straße ging, und fuhr dann schnell weg.
    Ich legte die Hände wie ein Megaphon um den Mund und rief: «Maury! Carol!» Jedesmal wenn ich nach Seattle kam, mußte ich draußen auf dem Bürgersteig stehen und zu dem Fenster im dritten Stock hinaufbrüllen, weil die Haustür abgeschlossen war.
    «Hauen Sie ab! Verschwinden Sie!» rief eine Frauenstimme aus einem Fenster im Erdgeschoß, dem Fenster der Hausmeisterwohnung.
    «Aber hier wohnen Freunde von mir», sagte ich.
    «Sie können nicht einfach so auf der Straße rumbrüllen», sagte sie.
    Sie trat ans Fenster. Sie hatte ein feingemeißeltes Gesicht und nässende Augäpfel; an ihrem Hals traten die Sehnen hervor. Auf ihren Lippen schienen Sätze von religiösem Fanatismus zu beben.
    «Entschuldigen Sie», sagte ich, «aber ist das womöglich ein deutscher Akzent, den ich bei Ihnen höre?»
    «Kommen Sie mir bloß nicht so», sagte sie. «Ach, nichts als Lügen. Ihr seid ja alle so scheißfreundlich.»
    «Ich will bloß hoffen, es ist kein polnischer.»
    Ich trat zurück auf die Straße und schrie: «Maury!» Dann pfiff ich laut.
    «Jetzt ist aber gut! Schluß jetzt!»
    «Aber die wohnen nun mal da oben!»
    «Dann hol ich die Polizei. Wollen Sie vielleicht, daß ich die Polizei hole?»
    «Herr im Himmel», sagte ich, «alte Hexe.»
    «Nicht zu fassen», rief sie mir hinterher, «da läuft er ja schon, der ach so freundliche Einbrecher!»
    In Gedanken stopfte ich sie

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