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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesu’s Sohn
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in einen tosenden Feuerschlund. Sie schrie ... ihr Gesicht fing Feuer, es brannte.
    Der Himmel zeigte ein wundes Blaurot mit Einschüssen von Schwarz, ungefähr wie die Farben einer Tätowierung. Der Sonnenuntergang hatte noch zwei Minuten zu leben.
    Die Straße, auf der ich stand, wand sich einen Hügel hinab zur First und Second Avenue, dem tiefsten Punkt der Stadt. Meine Füße trugen mich bergab. Ich tanzte auf meiner Verzweiflung. Vor einem Lokal namens Kelly’s, einer Kneipe, mehr war’s nicht, überkam mich ein Zittern. Drinnen schwamm alles in käsigem Licht. Ich schaute hinein und dachte: Wenn ich da reingehen und mit den alten Männern trinken müßte ...
    Gleich gegenüber war ein Krankenhaus. Es gab vier oder fünf in der Gegend, alle im Umkreis weniger Straßenzüge. Bei dem hier standen zwei Männer in Schlafanzügen an einem Fenster im zweiten Stock und sahen hinaus. Einer der beiden sagte gerade etwas. Fast hätte ich ihre Schritte bis zu den Zimmern zurückverfolgen können, von denen sie heute nacht (nachdem die Krankheit alles, was sie einmal gewesen waren, zerstört hatte) aufgebrochen waren.
    Zwei Leute, zwei Krankenhauspatienten, die es nach dem Abendessen nicht im Bett hält, finden einander bei ihren Wanderungen durch die Korridore, stehen eine Weile in einem kleinen, nach Kippen stinkenden Wartezimmer und blicken auf den Parkplatz hinab. Beide, der eine Mann wie der andere, haben ihre Gesundheit eingebüßt. Dir Alleinsein ist von Angst erfüllt Und dann finden sie einander.
    Aber glaubt ihr, einer würde je zum Grab des andern gehen?
    Ich schob mich durch die Tür zu Kelly’s hinein. Drinnen saßen sie und hielten ihr Bier in den fetten Pranken. Die Jukebox sang leise vor sich hin. Man hätte meinen können, die Leute hier wüßten, wie man – einfach indem man so dahockt und den Kopf ein bißchen schräg hält – in verlorene Welten blickt.
    Auch eine Frau war in der Bar. Sie war betrunkener als ich. Wir tanzten, und sie erzählte mir, sie habe eine Stelle bei der Armee.
    «Meine Freunde lassen mich nicht in die Wohnung», sagte ich.
    «Darüber mach dir mal keine Gedanken», sagte sie und küßte mich auf die Wange.
    Ich umarmte sie. Sie war klein, genau die richtige Größe für mich. Ich zog sie an mich.
    Einer von den Männern um uns herum räusperte sich. Der Rhythmus des Basses wanderte über die Bodendielen, aber ich bezweifle, daß die Männer ihn spürten.
    «Laß mich dich küssen», bat ich sie. Ihre Lippen schmeckten billig. Ich sagte: «Laß mich mit zu dir.» Sie küßte mich innig.
    Sie hatte sich die Augen schwarz angemalt, und ich hebte ihre Augen.
    «Mein Mann ist da», sagte sie. «Zu mir können wir nicht»
    «Vielleicht kriegen wir ein Motelzimmer.»
    «Kommt drauf an, wieviel Geld du hast.»
    «Wird nicht reichen», sagte ich. «Garantiert nicht»
    «Dann muß ich dich wohl doch mit nach Hause nehmen.»
    Sie küßte mich.
    «Und was ist mit deinem Mann?»
    Wir tanzten, und sie küßte mich einfach weiter, und den Männern blieb nichts auf der Welt, als zuzugucken oder in ihre Drinks zu starren. Welcher Song gespielt wurde, weiß ich nicht mehr; allerdings gab es damals in Seattle ein trauriges Jukebox-Lied namens «Misty Blue», das großen Anklang fand; wahrscheinlich also spielten sie gerade «Misty Blue», als ich sie in den Armen hielt und spürte, wie ihre Rippen sich unter meinen Fingern dehnten.
    «Ich kann dich nicht einfach so ziehenlassen», sagte ich.
    «Ich könnte dich mit nach Hause nehmen. Du könntest auf der Couch schlafen. Später würd ich dann zu dir kommen.»
    «Mit deinem Mann im Zimmer nebenan?»
    «Der schläft dann doch. Ich könnte ihm sagen, du wärst mein Cousin.»
    Wir umschlangen uns sanft und ungestüm. «Ich möchte mit dir schlafen, Baby», sagte sie.
    «Mein Gott, ja. Aber ich weiß nicht. Wo doch dein Mann zu Hause ist»
    «Schlaf mit mir», bettelte sie. Sie weinte ein bißchen an meiner Brust.
    «Wie lange bist du schon verheiratet?» fragte ich.
    «Seit Freitag.»
    «Freitag?»
    «Die haben mir vier Tage freigegeben.»
    «Du meinst, vorgestern war dein Hochzeitstag?»
    «Ich könnte auch sagen», schlug sie vor, «du wärst mein Bruder.»
    Da heftete ich meine Lippen auf ihren Mund, erst nur auf die Oberlippe, dann auch auf die Unterlippe, und dann küßte ich sie richtig, mein weit offener Mund auf ihrem, und innen trafen wir uns.
    Und in diesem Moment war es da. Alles: der lange Weg den Flur hinab. Die Tür, die sich auftut.

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