Joli Rouge (German Edition)
das ist alles.«
Antoine nickte und wollte sich zurückziehen, als
L’Olonnais ihn spontan am Arm packte.
»Bleib«, flehte er und sein Freund hob die Augenbrauen.
L’Olonnais lockerte seinen Griff, um ihn nicht zu
erschrecken. »Ich weiß, du hast dein Vertrauen verloren,
Antoine. Aber das habe ich auch. Ich möchte dir davon
erzählen.«
Kaum ließ er ihn los, schuf sein Maat Abstand zwischen
ihnen.
»Setz dich«, forderte L’Olonnais strenger als beabsichtigt
und fügte etwas milder hinzu: »Du musst müde sein.«
Antoine schüttelte den Kopf. L’Olonnais sah ihn an. Die
Sehnsucht nach einem Kameraden war niemals stärker gewesen.
»Um meine Stimmung stand es vorhin nicht zum Besten«, gab
er zu. »Ich wollte dich nicht drängen.«
Antoine zeigte keinerlei Reaktion, weshalb er fortfuhr:
»Du erinnerst mich an jemanden. Sein Name war Louis.«
Er bemerkte, dass sein Maat abgelenkt war und folgte
seinem Blick. Durch eine Böe hatten die Segel ihre
Ausrichtung verloren. Ihr Flattern übertönte die
aufgeschreckten Rufe der Männer.
»Sieh mich an«, forderte L‘Olonnais und gab dem Steuermann
ein Zeichen. Kurze Zeit später stand die
La Poudrière
wieder
am Wind. Er bohrte seine Augen in die von Antoine.
»Er war dir sehr ähnlich. Ich lernte ihn auf der Plantage
kennen, auf der ich drei Jahre meinen Dienst verrichtete. Es
war entbehrungsreich, aber Louis war mutig. Er lehrte mich,
dass Schwäche gleichbedeutend mit dem Tod ist, und man nur
überleben kann, wenn man Härte zeigt. Gegen sich selbst und
gegen den Rest der Welt.«
»Eine gesunde Einstellung«, pflichtete Antoine bei.
L‘Olonnais nickte beifällig. Er fühlte, dass er auf dem
richtigen Weg war, den Maat für sich einzunehmen. Die
Erkenntnis aktivierte seine Sinne. Er nahm die Ausdünstungen
des Schiffs in sich auf. Der Geruch der modrigen Holzplanken
paarte sich mit der Würze des Meeres, dessen Rauschen eins
wurde mit dem schweren Wind, der sie umfing und ihre Haut
befeuchtete.
»Louis und ich standen uns sehr nah. Wir schützten
einander des Tags und trösteten uns des Nachts. Eine
wahrhaft bereichernde Beziehung. Er war ein Engel.«
L‘Olonnais entfuhr ein Seufzer. Es war, als fühlte er den
Kameraden in seinen Erinnerungen. Antoine war der einzige,
der die Lücke zu füllen vermochte, die ihn seit dem Verlust
quälte.
»Er starb bei einem Überfall in den Morgenstunden. Die
Spanier fingen die Mohren ein und metzelten meinen Herrn und
die Knechte nieder. Louis wehrte sich noch, als er bereits
aus mehreren Wunden blutete. Er sah aus wie der heilige
Sebastian. Nur durch ihn gelang mir die Flucht ins
Unterholz. Niemand außer mir überlebte.« L’Olonnais hob den
Kopf. Die Erinnerungen waren übermächtig.
»Ich danke dir für dein Vertrauen« Antoine setzte an, sich
zu erheben.
»Wage es nicht«, knurrte L‘Olonnais. »Du bist anmaßend wie
De L’Isle, auch wenn er nicht von deinem Kaliber war. Zwar
rettete er mich vor dem nächsten Pflanzer, der mich seiner
Plantage einverleiben wollte, aber Jaque ging es vorrangig
um sein eigenes Vergnügen.«
»Was passierte mit Jaque De L’Isle?« Der Maat beugte sich
vor. L‘Olonnais verärgerte die Frage. Neugier war
unangebracht und völlig untypisch für Antoine.
»Die rote Jacquotte nahm ihn mir!«, spie er dem Freund
entgegen. „Das einfältige Weib, das Jaques Triebe derart
fesselte, dass er mit dem Gedanken spielte, sie auf unser
Schiff zu holen. Er wollte den Basken bestechen, damit er
sie ihm überließ! Und das nach Jahren meiner Hingabe, in dem
ich ihm all die Dirnen verzieh, die er sich nahm. Mit Füßen
trat er meine Zuneigung. Diese rote Metze entriss ihn mir
innerhalb eines Tages. Er sah sie, und er begehrte sie. Mehr
als er mich je begehrt hatte. Ich konnte das nicht
zulassen!“ L’Olonnais lächelte gedankenverloren. »Er starb
durch meine Hand. Aber es war ihre Schuld. Wir hätten etwas
Großartiges werden können, Jaque und ich. Er besaß
politisches Gespür. Vereint mit meiner Gier nach Rache gäbe
es die Spanier längst nicht mehr in der Inselwelt. Wir wären
herausragende Anführer der Bruderschaft geworden.« Er hörte
sich selbst lachen und wartete darauf, dass der Schmerz über
die erlittene Demütigung nachließ.
»Ich war kurz davor, sie zu töten. Doch sie entkam mir.
Der Tod nahm sie mit sich.« Er kicherte und konnte nicht
damit aufhören.
Antoine starrte ihn an. »Eine Frau hat dir das
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