Joli Rouge (German Edition)
angetan?«,
fragte er und deutete auf die Narbe.
L’Olonnais brüllte auf wie ein verwundetes Tier. „Aye! Ich
spüre meine Schmach jeden Tag.«
Der Maat nickte. »Du redest von der roten Peitsche?«
L’Olonnais konnte nicht fassen, dass er es wagte, den
Namen an Bord seines Schiffes zu erwähnen. Aufgebracht
sprang er ihn an und legte ihm die Hand um den Hals.
»Noch ein Wort, Antoine, und ich vergelte an dir, was mir
bei ihr verwehrt blieb!« Er spürte den Druck eines Messers
an seinem Bauch und hob die Arme. Seine Wut verrauchte.
»Antoine, Antoine«, murmelte er. »Mein wehrhafter
Racheengel.« Er trat zurück. Ein kurzes Aufblitzen verriet
ihm, dass der Maat das Messer geschickt in seinem Ärmel
verschwinden ließ. L’Olonnais atmete schwer. Die Gefühle
übermannten ihn oftmals mit einer solchen Heftigkeit, dass
er die Kontrolle verlor.
»Erwähne ihren Namen nie wieder«, sagte er. »Das beleidigt
mich.«
»Ich verstehe«, erwiderte Antoine.
L’Olonnais nickte. »Deshalb fühle ich mich zu dir
hingezogen. Du erlaubst mir, erneut an Verbundenheit zu
glauben.«
Er hatte gehofft, dass sein Freund ihm zustimmte, aber
Antoine schwieg. L’Olonnais zog die Luft durch die Zähne
ein. Er war enttäuscht und setzte nach: »Ich habe mich dir
offenbart, weil du mir teuer bist. Nun weißt du, was ich zu
geben bereit bin.«
»Ich will mein Schiff.« Antoine sah ihm in die Augen.
»Das weiß ich.« Er erwiderte den Blick. »Du kennst jetzt
den Preis dafür.«
Antoine reckte unbeeindruckt sein Kinn, bevor er aufstand
und das Poopdeck verließ. Der Wind frischte auf und wehte
L’Olonnais die Haare aus dem Gesicht. Er lächelte. Bald
würde Antoine sich seinem Willen beugen.
Als sich einige Stunden später der Morgendunst lichtete,
kam Leben in die Mannschaft. Antoine, der seine Waffen in
sicherer Entfernung zum Kapitän gereinigt hatte, horchte
auf.
»
Voile, voile á bord de nous
«, erklang die glockenklare
Stimme eines Schiffsjungen durch die rosige Dämmerung, und
Antoine sah, dass L’Olonnais augenblicklich Stellung bezog,
sein Fernrohr im Anschlag. Er gesellte sich zu ihm und hob
den Blick in die Takelage, um die Richtung auszumachen, in
die der Schiffsjunge deutete.
»Ein Schiff. Backbord voraus«, murmelte L’Olonnais.
»Zweimaster. Ich kann die Flagge nicht erkennen, unter der
sie segeln. Es hält Kurs nach Neuspanien. Kommt vermutlich
von der Küste von Puerto Rico.« Er kratzte sich nachdenklich
den Bart. »Ich verwette die
La Poudrière
, dass es Spanier
sind. Wir werden angreifen!«
Antoine nickte. Er konnte das Segel am Horizont kaum
ausmachen, aber es lag auf der Hand, dass L‘Olonnais den
vermeintlichen Spanier nicht würde ziehen lassen.
»Manche Wünsche erfüllen sich schneller, als man denkt.
Ist es nicht so?« L’Olonnais lächelte ihn an. »Gib den
anderen Schiffen Befehl, auf die Insel Saona zurückzukehren.
Sie sollen dort auf unsere Rückkehr warten. Der spanische
capitán
darf nicht Lunte riechen, dass wir im Konvoi in
Richtung Nueva Venezuela segeln.«
„Aye-aye!“ Antoine eilte davon und ließ Zeichen zu Moïse
Vauquelin geben, der sich auf gleicher Höhe steuerbord von
ihnen befand. Träge nahm sein Schiff Kurs auf die
La
Poudrière
, bis es nahe genug heran war, dass Antoine sich
mithilfe eines Seils hinüberschwingen konnte.
Moïse Vauquelin trat zu ihm heran. Er war hochgewachsen,
und Antoine missfiel es, dass er höhnisch auf ihn
herabblickte.
»Ich bringe Nachricht von Kapitän L’Olonnais«, sagte er.
»Sprecht!« Moïse Vauquelin musterte ihn abschätzend.
»Backbord voraus segelt ein spanischer Händler. Kapitän
L’Olonnais will ihn hochnehmen, um unsere Flotte zu
vergrößern.«
Moïse Vauquelin schnaubte. »Zu vergrößern, seid Ihr
sicher? Was sind die Befehle für seinen Vizeadmiral?«
Antoine hielt dem herausfordernden Blick stand. »Er
möchte, dass die anderen Schiffe unter Eurem Kommando zur
Insel Saona segeln, um ihn dort siegreich in Empfang zu
nehmen.«
Moïse Vauquelin verzog spöttisch den Mund und heftete
seine Augen auf das weit entfernte Schiff. Beinahe glaubte
Antoine, er hätte seine Anwesenheit vergessen und war kurz
davor, sich zu räuspern, als Vauquelin erwiderte: »Ich gebe
ihm einen Tag Zeit, um zur Insel Saona zurückzukehren.
Verzögert sich seine Ankunft, breche ich morgen in Richtung
Maracaibo auf! Mit ihm oder ohne ihn.«
Antoine salutierte und schwang sich
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