Joli Rouge (German Edition)
Blick von ihm abzuwenden. L’Olonnais blinzelte erstaunt.
»Die stellst du ebenso.« Antoine hielt ihm gelassen den
Handschuh entgegen.
»
Touché.
« Er ergriff ihn und atmete gierig den Duft ein,
der dem Handschuh anhaftete. »Du wirst dein Schiff
erhalten«, murrte er.
Sie starrten einander an. Antoines Gesichtsausdruck
veränderte sich, als er erwiderte: „Ich werde ein
hervorragender Kapitän sein, François!“
»Aye! Und du bist so viel mehr als das.« L’Olonnais‘ Augen
verengten sich, während er seinen Maat betrachtete. Er
wusste, dass sich seine Wünsche in dieser Nacht nicht
erfüllen würden. Abrupt wandte er sich ab. Seine Lust war
ihm deswegen nicht vergangen. Er nahm die Treppen in einem
Satz, packte im Vorübergehen einen der Schiffsjungen und
zerrte den überrascht Aufschreienden mit sich unter Deck.
Einige Stunden später wurde L’Olonnais von seinem Kanonier
wachgerüttelt. Er brummte unwirsch und erhob sich
schlaftrunken von seiner Pritsche. Der Schiffsjunge saß
wimmernd in einer Ecke, und L’Olonnais scheuchte ihn mitsamt
dem Kanonier vor die Tür. Erschöpft hielt er sich am
Türrahmen ein. Er fühlte sich unpässlich. Die Träume hatten
ihn wiederholt verfolgt und ihn in die leblosen Augen seiner
Mutter blicken lassen. Fiebrige Schauer erfassten seinen
Körper. Bedächtig rollte er die Peitsche zusammen, die neben
dem Bett lag. Seine Brust war von den wehrhaften Fingern des
Jungen zerkratzt und an seinen Händen klebte Blut.
L’Olonnais knöpfte sich das Hemd zu. Die Befriedigung, die
er stets verspürte, wenn er seine Spielchen mit wehrlosen
Opfern trieb, stellte sich nicht ein. Die Erinnerungen waren
zu übermächtig, und der bekannte Hass zerfraß sein Herz. Er
konnte spüren, wie er seine Reißzähne in das rote Fleisch
grub und Fetzen aus ihm herausriss. L’Olonnais legte eine
Hand auf die Brust, um das gequälte Pochen zu besänftigen,
das ihm beinahe die Luft abschnürte. Seine Mutter hatte nach
ihm gegriffen. Sie bekam ihn nicht zu fassen, aber sie
versuchte es. Jede Nacht. In dieser hatte sie sogar ihre
bleichen Lippen geöffnet und ihn um Hilfe angefleht. Er
würgte und erbrach sich auf den Boden. Wütend fuhr er mit
der Faust über den Mund, bevor er den faden Geschmack mit
Rum hinunterspülte. Er würde ihr nicht erlauben, dass sie
solch einen Einfluss auf ihn hatte. Sie war tot. Er fühlte
keine Reue, ihr nicht zur Seite gestanden zu haben. Ihr
Leben lang war sie schwach gewesen, dem Vater ausgeliefert.
Ein wimmerndes, betendes Wesen, das seine Situation
beklagte. Er verübelte ihr, dass sie sich nie gewehrt,
sondern die Schläge und Misshandlungen hingenommen hatte,
bis ihr der Vater eines Tages das Genick brach. L’Olonnais
schnaubte. Sie hatte es nicht anders verdient, denn es war
ihr nie gelungen, ihn zu schützen. Er war dem Vater nur
entkommen, indem er sich als Knecht für drei Jahre bei einem
Pflanzer namens Créole verdingte, der ihn an die Westküste
von La Española brachte, wo er ihn auf seiner Tabakplantage
schuften ließ. Dort lernte er, dass er als Knecht noch unter
den Mohren stand und die Grausamkeiten seines Vaters nichts
gegen die Dominanz des Pflanzers waren.
Créole hatte ihnen erklärt, dass die Mohren ihm ein ganzes
Leben lang dienten, weshalb man sie schonte, die Knechte
jedoch nur eine kurze Zeit. Aus diesem Grund traktierte er
sie derart, dass bereits innerhalb weniger Wochen zwei
Knechte an den Folgen der Schindereien verendeten. Der eine
lief fort, wurde von seinem Herrn aufgegriffen, an einen
Baum gebunden und solange ausgepeitscht, bis ihm der Rücken
in Fetzen hing. Daraufhin rieb Créole eine Salbe aus
Limettensaft und Salz in die Wunden und ließ den
Ohnmächtigen einen Tag in der prallen Sonne hängen, bevor er
ihn erneut auspeitschte. Der Junge verstarb während dieser
Prozedur. Der andere begehrte gegen den Pflanzer auf und
musste die Arbeit ohne schützendes Hemd verrichten, bis
seine Haut aufplatzte. Er bekam weder Wasser noch Nahrung
und brach nach drei Tagen auf dem Feld zusammen, wo er
liegen blieb bis er krepierte. L’Olonnais schüttelte den
Kopf, um die Erinnerungen loszuwerden und trat entschlossen
an Deck. Der Anblick von Antoine vertrieb die Geister der
Vergangenheit, und er bezog neben ihm Stellung.
Sein Maat musterte ihn. »Du siehst krank aus. Ist dir
nicht gut?«
L’Olonnais war erstaunt. »Deine Sorge freut mich. Ich
hatte dunkle Träume,
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