Joli Rouge (German Edition)
ganzes Leben,
um all das zu verteidigen, doch dann deckte ausgerechnet der
Olonnaise eine Verschwörung gegen mich auf.«
Pierre runzelte fragend die Stirn.
»Zwei Brüder, die ich seit langem kannte, lehnten sich
gegen mich auf und versuchten, meine Pläne zu untergraben.
Sie machten gemeinsame Sache mit dem Feind. L’Olonnais fand
das heraus und schickte sie gemäß dem Kodex in den Tod.
Dafür schulde ich ihm etwas. Wenn es jedoch nach mir geht,
ist dies die erste und letzte Fahrt, die er im Namen der
Bruderschaft anführt.«
»Wer hat es gewagt, Euch zu verraten?«, wollte Pierre
wissen, obwohl er es bereits ahnte. Doch er hoffte, dass der
Baske ihm noch mehr von jener verhängnisvollen Nacht
berichtete, in der Jacquotte in den Sturm gesegelt war.
Michel Le Basque senkte den Kopf. »Ich vertraue Euch,
deshalb werde ich Euch davon erzählen. Es begann mit Euren
Worten, Picard. Ihr sagtet einst, man müsse sich diejenigen
zu Verbündeten machen, die den Feind kennen. Daraus
entwickelte sich mein Plan. Ich glaubte, die rote Jacquotte
mithilfe des Totenkopfs in einen Hinterhalt locken zu
können. Durch ihren Tod wollte ich ein Exempel statuieren
und beweisen, dass der Kodex nach wie vor seine Berechtigung
hat. Sie hat mich und die Bruderschaft getäuscht. Sie wurde
zu meinem Feind. Ihretwegen geriet alles außer Kontrolle,
und die Brüder lachten über mich. Doch ihre Freunde wurden
nicht zu meinen Verbündeten. Ich gebe es nicht gerne zu,
aber diese Frau war stärker als ich, Picard.«
Der Baske blickte gedankenverloren aufs Meer, während
Pierre ihn beobachtete und darauf wartete, dass er fortfuhr.
»Leider beging ich durch meinen Hass auf sie den Fehler,
L‘Olonnais zu trauen. Er gab vor, mich zu unterstützen.
Dabei wissen wir alle, dass er nur nach spanischem Blut
giert.« Der Baske zerquetschte einen Sandfloh zwischen den
Fingern und zog geräuschvoll die Nase hoch.
»Die Männer wollen an etwas glauben, Picard. Der Kodex
einte sie lange Zeit, doch inzwischen interessiert er nur
noch wenige. Für Männer wie L’Olonnais gibt es keine Ehre
mehr. Sie segeln einzig zu ihrem eigenen Nutzen.« Er
zerquetschte einen weiteren Floh. »Die rote Jacquotte wählte
einen ehrenvollen Tod. Deshalb singen die Brüder bis heute
ihre Lieder und hissen schwarze Flaggen. Die Bruderschaft
braucht rechtschaffene Vorbilder, Picard.«
Pierre musterte ihn. »Was habt Ihr vor?«
Der Baske sah ihm offen ins Gesicht. »Es wird die Zeit
kommen, in der ich Eure Hilfe benötige. Seid darauf
vorbereitet! Ich habe die Bruderschaft noch nicht
aufgegeben.«
Pierre nickte. Eine Weile hingen beide Männer ihren
Gedanken nach, bevor Pierre etwas am Horizont entdeckte.
»Der Olonnaise kehrt zurück!« Er lenkte die Aufmerksamkeit
des Basken auf das herannahende Schiff.
»Wenn er alleine segelt, war er nicht siegreich.« Michel
Le Basque stieß verächtlich die Luft aus. »Das dachte ich
mir.«
Sie standen auf, um zu den anderen Kapitänen zu gehen. Von
der versteckten Bucht aus warteten sie auf das verabredete
Signal. Die verbliebene Mannschaft auf dem Schiff von Moïse
Vauquelin hatte Anweisung erhalten, bei Annäherung eines
Schiffes die Marssegel herunterzuholen und dann erneut zu
hissen sowie das Focksegel im Wind flattern zu lassen.
Näherte sich das fremde Schiff unter Vollbetakelung, so
hatte es auf dieses Zeichen seine Flagge am vorderen Mast zu
hissen. War es zu stürmisch für ein Herannahen unter vollen
Segeln, so musste es ebenfalls sein Focksegel im Wind
flattern lassen.
»Er hisst die
joli rouge
am vorderen Mast«, bemerkte
Michel Le Basque und fügte trocken hinzu: »Unser Anführer
ist zurückgekehrt.«
Pierre biss sich auf die Zähne und versuchte, seine Unruhe
zu unterdrücken. Mit der untergehenden Sonne frischte der
Wind auf und brachte die aufgestellten Fackeln in Wallung.
Überall am Strand waren Feuer zu sehen, über denen die
Mannschaften ihre erbeuteten Tiere brieten. Pierre erblickte
Remi, der sich zu ihm gesellte und ihm ein Stück Fleisch
anbot. Pierre schüttelte dankend den Kopf und beobachtete
das Herannahen der Boote. Die Männer begannen zu tuscheln.
»L’Olonnais ist nirgends zu sehen!«
»Antoine Du Puits setzt alleine über!«
Er sah den kahlen Schädel auf einem der Boote aufleuchten,
und spürte augenblickliche Erleichterung. Ihr war nichts
geschehen! Die Anspannung fiel von ihm ab. Er trat neben
Moïse Vauquelin, um einen
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