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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fischer
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Zäher Nebel waberte über das Schilf, das die großzügigen
Mauern umgab. Kein einziger Mast ragte aus dem Dunst.
    »Es sind keine Barken oder Schiffe zu sehen.« Jacquotte
runzelte die Stirn. »Es heißt, die Stadt beherbergt an die
viertausend Seelen, die meisten davon Sklaven. Vielleicht
wurden sie gewarnt.« Sie hob die Hand, um die Aufmerksamkeit
ihrer Mannschaft zu erlangen. Das Schiff von L’Olonnais
drehte bei und ging längsseits der Häuser in Stellung.
    »Hart steuerbord! Segel einluven! Kanonen auf
Backbordseite bereit machen!«, befahl sie und schritt über
das Deck in Richtung Heck, um den Steuermann zu überwachen.
    Es kam Bewegung in die erstarrte Besatzung. Die Männer
waren müde und hungrig. Jacquotte wusste um ihren Zustand.
Sie hoffte, dass Maracaibo genug Schätze barg, an denen sich
die ausgezehrte Mannschaft laben konnte. In der Stadt war es
zu ruhig. Das bedeutete, dass ihnen entweder ein harter
Kampf bevorstand oder die Einwohner alles aufgegeben hatten.
Letzteres würde L’Olonnais in Aufruhr versetzen und ihn
augenblicklich ausschwärmen lassen, um die Flüchtigen
niederzustrecken. Jacquotte wünschte sich, dass es dazu kam.
L’Olonnais gegenüberzutreten war etwas, das ihr beinahe die
Sinne schwinden ließ. Aber es war nicht an der Zeit,
unnötige Gedanken daran zu verschwenden. Sie übernahm das
Ruder und richtete das Schiff zum Kampf aus.
    »Kanonen bereit«, meldete der Maat. Jacquotte nickte und
blickte zum Olonnaisen hinüber. Trügerische Ruhe lag über
der Flotte. Kein Windhauch zerrte an den Segeln und der
Nebel legte sich schützend vor die Häuserfront von
Maracaibo. Jacquotte starrte angestrengt durch ihr Fernrohr.
Der Olonnaise hob die Hand.
    »Feuer«, schrie sie, und mit kurzer Verzögerung vernahm
sie das Krachen der Neunpfünder. Das Deck erzitterte, und
die Masten knarrten. Wie ein Echo feuerten auch die anderen
Schiffe ihre zerstörerische Ladung ab. Mit dumpfem Dröhnen
schlugen die Kugeln in die Häuser jenseits des Hafens ein.
Ein Dach knickte ein und riss das erste Stockwerk mit sich
in die Tiefe. Jacquotte sah es im Nebel verschwinden und
lauschte. Fenster splitterten, Ziegelsteine stürzten ins
Wasser. Staub vermischte sich mit dem Dunst und verstärkte
die undurchsichtige Wand. Die Schiffe ihrerseits
verschwanden unter einem Schleier aus Pulverdampf. Die
Männer gingen in Deckung, aber der Gegenangriff blieb aus.
Kein Kanonenschuss, keine Musketensalve waren zu hören.
Maracaibo wartete stumm.
    »Zum Teufel«, entfuhr es Jacquotte. Sie rannte über das
Deck, um das Schiff des Olonnaisen auszumachen und weitere
Anweisungen zu empfangen. Erstickte Stimmen drangen zu ihr
vor, doch sie konnte lediglich die Umrisse des spanischen
Handelsfahrers erkennen.
    »An Land! Boote bereit machen!«, erreichte sie schließlich
der klare Befehl von L’Olonnais‘ Schiff.
    »Boote bereit!«, rief sie ihrer Besatzung zu. »Wir setzen
über. Die Männer an den Kanonen bleiben, wo sie sind!«
Jacquotte wusste, dass die Kanonen noch einmal feuern
würden, wenn die Flibustier auf halbem Weg an die Küste
waren. Das sollte ihr Herannahen vertuschen. Außerdem würden
die Bukaniere in den Booten das Feuer auf das schützende
Gebüsch der Uferböschung eröffnen, um lauernden Spaniern den
Garaus zu machen, bevor auch nur ein Mann seinen Fuß in die
Stadt setzte.
    Sorgfältig verfolgte sie das Abfieren der Beiboote. Sie
hatten genug Boote dabei, um die gesamte Mannschaft an Land
zu bringen. Ein Umstand, der notwendig war, um Maracaibo
zügig zu erstürmen. Jacquotte erteilte ihrem ersten Maat
genaue Befehle über das weitere Vorgehen, bevor sie sich mit
dem Großteil der Männer über Bord schwang, um in den
Beibooten überzusetzen.
    Kurze Zeit später durchzogen die Ruder das graue Wasser.
Je näher sie der Stadt kamen, umso mehr streckte der feuchte
Nebel seine düsteren Klauen nach ihnen aus. Die Augen der
Brüder blickten krampfhaft in das bleiche Nichts, das
langsam von der Flotte Besitz ergriff. Jacquotte erkannte
die Schatten der anderen Boote, während sie wie eine Armee
hungriger Ameisen auf das Festland zuhielten. Jeder Laut
wurde von dem zähen Dunst geschluckt, der sie bedächtig
einhüllte. Sie legte beide Hände an die Pistolen, die am
schwarzen Seidentuch um ihren Hals baumelten.
    »Seid unbesorgt, Brüder. Die Spanier sind nicht klug
genug, um uns derart lange hinzuhalten«, flüsterte sie
beruhigend.

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